Historischer Roman-2a

Überwalden-2

Eine Überlebensgeschichte

Nichts ist wichtiger als die Wahrheit, die wir schreiben.

Aber unser Leben wird trotzdem, oft nur Hoffnung bleiben.

Kapitel 1: Ein Dorf, kein Dorf …

1974

Als die Bäume fielen war das ein Wendepunkt. Er stand an der Tür des Hauses und blickte zum Wald. Er war vielleicht 6 oder 7 Jahre alt. Seine Welt war schon ziemlich groß und nun fiel sie in sich zusammen. Noch wusste er nicht, das aus dem Untergang oft eine Erneuerung entstehen konnte, die manchmal auch viel Gutes hatte.

Zunächst aber hatte er verständlicherweise Angst, denn aus der Tür heraus sah man den Sturm, das faszinierend rot gelbe Licht einer Apokalypse in den Wolken leuchten. Selbst die Erwachsenen waren sprachlos und wirkten bedrückt.

Im Nachhinein wusste er nicht mehr warum er sich trotzdem sicher fühlte, dass nicht das Haus im nächsten Moment vom Sturm erfasst werden würde. Wahrscheinlich, weil er in diesem Moment und auch sonst wusste, dass er seinen Eltern immer vertrauen konnte. Was nicht an ihrem Wissen lag, sondern alleine an der Wärme, die sie ihm gaben.

Die Tage danach waren gespenstisch. Viele große Bäume waren gefallen und hatten den nahen Kurpark des Dorfes und den angrenzenden Wald in eine Pflanzenwüste verwandelt. Menschen waren so weite er wusste, nicht zu Schaden gekommen. Wenn doch, dann hatte er es damals eben nicht erfahren.

Doch wie auch immer, seine Angst war vorbei und die Neugier geboren. Der gefallene Wald nun, ein Paradies für Kinderspiele.

Ob es Warnungen gab oder Absperrungen, wusste er nicht mehr. In seiner Erinnerung und Fanatsie wurde aus der Tragödie eine Kraft, die sein damaliges Leben bereicherte.

So ähnlich musste es den Kindern in den großen Städten, direkt nach dem Bombenkrieg, zwanzig Jahre zuvor, gegangen sein. Das sorglose Spielen auf den Trümmern, war so bizarr wie natürlich, für die Fähigkeit des Menschen zu verdrängen.

Auf dem Land sah man das eh auch gelassen, wie so vieles und in der damaligen Zeit der frühen Siebziger und im Rheinland sowieso, gab es ein Mischung aus „es kommt wie es kommt“ und einer „es ist noch immer gut gegangen“ Weiter geht’s Stimmung für die Zukunft. Die Rockmusik die, die Leichtigkeit der 68er Generation, am nächsten Morgen mit ins Radio seiner Zeit hinüber rettete, verband sich mit der Sonne und alles war gut.

Natürlich stand er damals als Kind noch mehr auf deutsche Schlager. Sammelte Zeichenblöcke mit den Konterfeis von Marianne Rosenberg oder Udo Jürgens und verbrachte die meiste Zeit damit zu spielen. Seine Kindheit war, man konnte es nicht anders ausdrücken, glücklich.

Sie wohnten in einem großen Haus mit Garten und vermieteten, wie der halbe Ort, Zimmer an Gäste. Was auch bedeutete, dass er kein ständiges eigenes Zimmer hatte, sondern zweimal im Jahr umziehen musste. Im Sommer wenn alle Zimmer vergeben waren, musste er in einer Kammer unter dem Dach schlafen. Im Winter durfte er in eines der Gästezimmer umziehen, wo es dann auch wärmer war, aber dafür auch irgendwie steriler, es war eben nicht seins, so dass er damit nie richtig warm wurde. Außerdem roch es oft nach alten Leuten, die bei den Gästen leider meist in der Überzahl waren.

Aber die vielen Fremden, die als Stammgäste ihm oft und schnell vertraut wurden, störten ihn nicht wirklich. Denn sie waren fast immer nett und es war einfach so und Teil seines Lebens. Das dadurch auch ohne, dass ihm das schon so bewusst war, eine Akzeptanz für Vielfalt vermittelte, als die meisten wahrscheinlich, in der eher spießigen deutschen Nachkriegskindheit erlebten.

Das große Dorf, offiziell aber keine Stadt, war in seiner Kindheit, in zwei Hälften geteilt. Links und Rechts der Hauptstraße. Links, wenn man vom Rhein herauf kam, lag das „alte oder Hinterdorf“. Dort gab es noch Bauernhöfe, wo er, als er die in der autoreichen Zeit der Siebziger „gefährliche Straße“ alleine überqueren durfte, fast täglich, immer zur geleichen Zeit am frühen Abend, zum Milch holen geschickt wurde und die meisten Familien waren dort Alteingesessene. Man sprach Dialekt und schaute mit Argwohn auf die „Imigranten, Imis genannt“, die neu Zugezogenen, die überwiegend auf der anderen Seite, in neueren Häusern wohnten, genau wie er.

Zwar stammte seine Mutter aus einem Nachbardorf, auch beide Großeltern dieser, aber das galt trotzdem schon als Auswärtige. Wurde allerdings abgemildert durch die Tatsache, dass man sich natürlich in der Gegend immer schon untereinander verheiratet hatte und somit im gesamten Dorf zahlreiche Verwandte der Mutter lebten, wie der Milchhof zum Beispiel.

Auch das Haus in dem sie wohnten, hatten sie von einem Cousin der Mutter erwerben können, der der größte Bauunternehmer im Ort war. Blut war hier eben dicker als Wasser.

Die Vaterseite hingegen war das Problem. Er war der Eindringling, ein Makel gegen das er sein ganzes Leben dort immer arbeiten musste. Durch Mitgliedschaft im Chor, in Sportvereinen, regelmäßige Kneipenbesuche, Skatrunden usw. versuchte er aber aktiv sich einen Platz in der Gemeinschaft zu verdienen, was ihm, weil er ein gutmütiger und umgänglicher Kerl war, auch zum größten Teil gut gelang.

„Warum dieses Dorf so wie alle anderen oder vielleicht auch doch nicht, sich ausgerechnet und das schon in der Kaiserzeit zu einer mondänen Kurort entwickelte, würde ihm auf lange Sicht ein Geheimnis bleiben. Vermutlich war es nur die gute Lage und der Zufall. Ein einflussreicher Industrieller könnte dabei auch eine gewichtige Rolle gespielt haben. Dazu später mehr.

Zumindest erinnerte er sich trotz aller Ressentiments zwischen den beiden Seiten, an ein gemeinsames Gefühl, ein besonderer Ort und immer schon die Wahrnehmung, eine Art „gallisches Dorf“, zu sein. In der frühen Vergangenheit, wovon ein unscheinbarer Hügelwall zeugen sollte, der den Germanen oberhalb des Rheines angeblich zur Abwehr der Römer gedient hatte und in direkter Linie zur Moderne genau das Gegenteil, ein Tor zur Zivilisation, zur neuen Zeit, weit abgehoben vom finsteren Mittelalter, dass gefühlt noch immer, gleich hinter der Dorfgrenze begann und den Rest des verschlafenen Westerwaldes, fest im Griff hatte.

Diese Abgrenzung zum übrigen „Wald“ wurde seit dem frühen 20. Jahrhundert verstärkt und natürlich gehegt und gepflegt, durch die zahlreichen Gäste, die zunächst nur aus den Reichen und Industriellen des Ruhrgebietes und der rheinischen Großstädte sich speisten, in der Nachkriegszeit dann auch aus vielen anderen Regionen, insbesondere Norddeutschlands und dem neureichen Bürgertum der Bundesrepublik insgesamt kamen.

Der Ort hatte viel zu bieten. Zunächst noch die großen klassizistischen Hotels, Parkanlagen, mit Kneippbecken und ausgebautem Wandernetz. Schneereiche Winter und heilklimatisches Wetter. Kurze Wege zu Rhein und Mosel, als beliebte Ausflugsziele. Ein ausgeprägtes Nachtleben in den Hotelbars, Tanzsälen und auf den Kegelbahnen.

In der Zeit als Bürger und Arbeiter sich dann Urlaub leisten konnten, auch gemütliche Pensionen, wie seine Eltern eben eine betrieben, Waldturnpfade, Langlaufpisten, das bis heute schönste und größte Waldschwimmbad der Gegend und vieles mehr.

Als die Gäste dann aber zunehmend ausblieben, die großen Hotels leer standen, weil sich jeder plötzlich Flüge nach Ägypten oder Thailand leisten konnte, ab den achtziger Jahren, waren bald ohnehin schon einige nur noch Ruinen, versuchte ein, man könnte es positiv formulieren „visionärer“ Bürgermeister, zehn Jahre zuvor noch, die Wende, in dem er das erste „Wellenbad“ der deutschen Geschichte bauen ließ. Dieses Bad sollte der Urvater aller großen Spaßbäderlandschaften der heutigen Zeit werden.

Damals war es so in etwa, als ob sich Asterix und Obelix einen riesigen Göttertherme ins Dorf gebaut hätten, damit die ausbleibenden Römer, doch endlich wieder kämen. Die Neugierde zog zwar zunächst wieder einige Gäste mehr an, die Kosten der Anlage überstiegen aber schnell die Einnahmen, so dass der unglückliche Bürgermeister und das Projekt bald damit Berühmtheit erlangte, weil der Ort pleite ging und unter Landesoberhoheit gestellt werden musste. Was lange in allen BWL Lehrbüchern als das Parade-Beispiel negativen Wirtschaftens von Gemeinden an sich, seine Verewigung fand.

Das Bad wurde schließlich symbolisch für 1 DM verkauft und lief somit immerhin noch einige Jahre ganz gut. Denn es war schon eine Besonderheit. Als Kind liebte er die Aufenthalte dort. Das große Becken suggerierte mit den regelmäßigen Wellengängen schon eine Art Meerfeeling direkt vor der Haustür, auch wenn echter Sand und Palmen fehlten. Es gab später sogar riesige Rutschen, was man auch vorher nie gesehen hatte und eine für damalige Verhältnisse einzigartige Saunalandschaft. Das Ganze war also schon eine Attraktion, zog aber dann vor allem noch Wochenendgäste an oder Menschen die mal eben nur für den Tag aus den nun durch schnelle Autobahnen nur in stündlicher Entfernung liegenden Großstädten, heranbrausten. Das brachte dem Betreiber Geld, aber nicht der Gemeinde, denn natürlich konnte man sich im Bad auch mit allem anderen versorgen was Leib und Seele bedurfte und die Gaststätten im Ort gingen oft leer aus.

Weit vor dieser Zeit, war ein anderer Mann, der König des Ortes. Kommerzienrat Henkel, der Düsseldorfer Fabrikant des bekannten Waschmittels, hatte sich eine große Villa am Ortseingang gebaut, mit einem riesigen Park, voll bestückt mit exotischen Pflanzen, Pavillons und Wegtoren aus Elfenbeinzähnen. Zwar hatte unser Protagonist selbst dieses Anwesen nicht mehr in seiner Blüte sehen können, aber sein Großvater mütterlicherseits war dort Gärtner gewesen und daher wusste die Familie viel darüber, allerdings auch, dass dieser Großvater vermutlich, am damals unverantwortlich und ungeschützt genutzten Pflanzengiften gestorben war, so dass er auch ihn selbst nicht mehr erlebt hatte.

Die Villa suchte er viele Jahre später, als sie lange leer stand und im Verfall war und keineswegs mehr ein Schmuckstück, als Lausbube mehrfach heimlich auf und hatte so seine gruseligen Erlebnisse darin. Ihren Reiz verlor sie nie, bis eine große Verbandsmittelfirma, das ganze Gelände aufkaufte und die alte Villa zum Firmensitz renovierte.

Beide Großväter waren bereits verstorben zur Zeit seiner Geburt und eine Großmutter dazu, was auch daran lag, dass er ein Nachzügler war, aber sicher auch an der damals insgesamt und durch die Kriegsnachwirkungen im Besonderen, kürzeren Lebenserwartung. Mit der einzigen Großmutter aber lebte er in seinen ersten Jahren zusammen, bis zu ihrem Tod und mit ihr verband ihn auch eine ebenso enge und prägende Bindung, wie Rotkäppchen mit dem Wolf.

Das klingt erstmal nicht nach einem guten Verhältnis und ist sicher auch überspitzt formuliert hier, aber manchmal war das menschliche Miteinander, insbesondere zwischen weit auseinander liegenden Generationen, nicht ganz so einfach. Was nicht heißt, das er keine sehr schönen Erinnerungen an sie hatte, ganz im Gegenteil. Da sie für ihn und sicher auch für jeden anderen im Haushalt eine besondere Rolle einnahm, für seine Mutter die Mutter, an der sie sich ständig rieb, für seinen Vater die Schwiegermutter (das sagt alles) und für seinen Bruder, ach ja, den gab es auch noch, nun was sie für ihn war hätte er nicht beurteilen können. Sein Bruder jedenfalls hatte noch die übrigen Großeltern gekannt und war so viel älter wie er, dass er mehr als junger, zweiter Vater durchging. Aber dazu später mehr.

Die Großmutter jedenfalls die er noch hatte, las ihm sehr früh Fabeln, aus einem sehr alten Buch vor, das schon damals fast auseinander fiel. Leider hatte er dieses Buch, beim Verkauf des Hauses, viele Jahre später nicht mehr finden können, was er sehr bedauerte, denn es war im Nachhinein sicher seine erste inspirierende Begegnung mit fantastischen Geschichten, die den Zuhörer in Welten entführten, die faszinierend und lehrreich zugleich waren. Gevatter Bär und Bruder Fuchs begleiteten ihn durch seine ersten gefahrvollen Träume, vielleicht gerade darum so einprägsam, weil die Sprache, sehr fremd und altertümlich war und weil die Geschichten ihm doch und auf sehr nachhaltige Weise, erste moralische Grundsätze vermittelten.

Sprache sollte sein Medium und seine Profession werden, aber das kam natürlich etwas später. Aus heutiger Sicht trotzdem früh. Der Knabe trug das Talent dafür offenbar in sich und konnte schon in der Grundschule damit hervorstechen, bestimmt war es eben damals schon geweckt worden, als freudiger Zuhörer, im Bett der Großmutter.

Wobei die Alte nicht etwa gebildet war und das bei ihrem Enkel fördern wollte, alle Vorfahren die er damals überblicken konnte, waren Arbeiter oder Bauern gewesen, erst als er Jahrzehnte später Ahnenforschung betrieb, stellte sich zu seinem Erstaunen heraus, das sein Stammbaum arischer war, als der von Odin und er über eine zwar nur uneheliche Linie, aber doch eben, fast mit dem gesamten Adel und Geistesadel der deutschen Geschichte verwandt war. (siehe Vorgeschichte)

Streit gab es jedenfalls genug in der Familie, wie das so ist und als zunächst schwächstes und gefühlt rechtelosestes Mitglied, hatte er auch diese Phase zu überstehen. Was mit dem Kampf gegen die nächste in der Rangfolge, die Großmutter begann. Ob es dabei um das Fernsehprogramm oder deren Kochkünste ging. Diese waren zwar unbestritten, aber zugleich nicht immer dem Geschmack des Juniors entsprechend, auch wenn er im allgemeinen ein guter Esser war, im Gegensatz zu seinem Bruder, der als Kind zumindest, als Hungerharken durchging. Die Mutter hielt sich hier gerne raus, denn das Kochen war nicht ihr Metier. All diese und andere Regeln der Zuständigkeit wurden natürlich ohne Rücksprache mit ihm festgelegt. Er war, wie auch sein Vater freiwillig, diesen meist weiblichen Familiennormen einfach nur unterworfen. Nicht dass es von Außen betrachtet ein wirkliches Leid war, von Innen jedoch manchmal schon.

Aber er konnte, wie der Vater in die Arbeit, Schichtdienst und in den Garten, das war sein Reich, auch immer schon gut in seine Fantasie, beim Spielen und schließlich in seine Bücher, beim Lesen flüchten. Hinzu kam dann bald auch der Familiensport. Ping Pong, wie es die Nation der chinesischen Großmeister nennt. Hierzulande ähnlich schlicht Tisch-Tennis. Ein stark unterschätzter, nicht destotrotz sehr verbreiteter Volkssport. Die gesamte Familie spielte, zumindest zuletzt der männliche Teil, fast ein Leben lang.

Diese drei Säulen, Familie, Bücher, Sport sollten sein frühes Leben prägen. Sicher nichts außergewöhnliches für seine Generation. Aber es gab auch ebenso früh, prägende Katastrophen, die keine Naturgewalten waren, wie der eingangs erwähnte Sturm, dafür aber mehr oder weniger schwere Zeiten, zumindest für seine Kinderseele, die sein Leben und die sich in ihm formende Weltsicht, nicht wenig beeinflussten.

Wir wollen nicht übertreiben, aber in der frühen Kindheit, werden wir schon auf so manches Pferd gesetzt, das unseren Weg vorgibt. Hier aus dem Sattel zu springen, birgt immer ein gewisse Gefahr und die meisten von uns bleiben darum sicher lieber ein Leben lang sitzen, aber das man abundzu mal fast vom Pferd rutscht, weil das Leben immer, wie auch das Tier, in Bewegung ist, bleibt eben nicht aus.

Die Eltern, soweit wir wissen waren bewusst oder unbewusst so ein Pferd, als Paar und auch im Einzelnen. Da sie im Vergleich mit den Erzeugern der gleichaltrigen Schulkamerade und Spielgefährten eine Generation älter waren, strahlten sie eine gewisse Gelassenheit aus, was vielleicht noch verstärkt wurde dadurch, dass er ein Wunschkind war, was sie fast verloren hätten, wie seine unglückliche Schwester, ein Jahr vor seiner Geburt. Er war das Medium, zur Verarbeitung dieser Tragödie gewesen und trug somit vielleicht in ihren Augen und zu seinem großen Glück, einen besonderen Schutzkokon der Liebe um sich.

Sie hatten außerdem den Krieg erlebt, zwar noch fast als Kinder, aber nicht weniger intensiv. Der Vater insbesondere, da er mit 17 noch freiwillig, von der NS Propaganda verführt, ins Feld gezogen war. Diese Erlebnisse zunächst sicher auch verdrängt, konnte er in späten Jahren immerhin verarbeiten und mit Hilfe des Sohnes niederschreiben. Wir werden in einem späteren Kapitel auf diesen Text des Vaters, näher eingehen. Aber auch schon vorher gelang es ihm dazu eine selbstkritische Haltung einzunehmen, der durch den „Jungmädelbund Hurra“ ihrer Jugend geprägten Mutter, fiel das hingegen lange viel schwerer. Beide aber hatten mit dem Älterwerden, einen wohltuenden Pragmatismus und zusätzlich eine Weltoffenheit für sich entwickelt und so genoss er eine sehr liberale Erziehung, in der beide nie zu Mitteln der körperlichen Züchtigung oder psychischem Druck griffen. Was in ihrer Generation und Gesellschaftsschicht sonst noch sehr üblich war und das rechnete er ihnen im Nachhinein sehr hoch an.

Beide eigneten sich im mittleren Alter auch dann eine gute Belesenheit an, selbst wenn der Vater fast nur ein großer Karl May Fan war, die aber auch den Sohn weiter mit prägte und vor allem die Mutter unterstützte die Talente beider Söhne wo sie konnte, um den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, ohne dass er aber von ihnen unbedingt erwartet wurde.

Talent ist leider und so auch in seinem Fall oft sehr einseitig und nicht universell. So war er zwar schon früh ein Sprachkünstler, schrieb Geschichten wie ein Nobelpreisträger, legte aber bei der Einhaltung korrekter Rechtschreibung keinerlei ähnliche Brilianz an den Tag. Im Tischtennis konnte er Schläge raushauen, die eines Weltmeisters würdig waren, blieb aber arg trainigsfaul und hatte in der Kindheit auch mit Übergewicht zu kämpfen. Alle Ziele erreichte er somit nur bis an die Grenze seiner natürlichen Begabung, selten darüber hinaus. Ein Defizit, was ihn bis ins Erwachsenenalter lange begleiten sollte, dieser Mangel war allerdings zugleich eine Stärke, denn er kannte eben auch keinen falschen Ehrgeiz sondern in allem immer seine Grenzen und war fähig auch in seinem weiteren Leben einfach zufrieden zu sein, was den meisten Menschen ja nicht so leicht gelingt.

Kapitel 2: Späte Kindheit

Er stand an der Eiche. Ein besonderer Ort, mitten im Wald. Wäre nicht die wilde Müllhalde in seinem Rücken gewesen. Damals machte man sich um die Umwelt wenig Gedanken, auch er nicht. Schon in früher Kindheit hatte er dort gespielt, nichts war abgesperrt und es gab, trotz des wichtigen Images, ein Kurort sein zu wohlen noch ähnliche Schandflecken im Wald. Aber, als er dort am Baum stand, sein Rad dagegen gelehnt und auf die Mädchenbande wartete, spielte das keine Rolle. Denn auch jetzt tobte wieder ein Sturm, nur eben in seinem Inneren.

Namen sind Schall und Rauch, sagt man. In seinem Fall war es keineswegs so. Er hasste seinen Namen, denn er hob ihn heraus aus der Masse. In seinen Augen als Sonderling, in den Augen seiner Eltern wohl gut gemeint, aber eben doch nicht wirklich gut gewählt. Nicht nur das er selten und altertümlich war, man konnte ihn auch von Seiten der nicht so wohlmeinenden Altersgenossen sehr schmerzhaft zum Gespött machen. Vielleicht verursachte dies unbewusst sein lebenslang schlechtes Namensgedächtnis, im Gegensatz zu Zahlen. Aber das ist natürlich nur eine Theorie.

Da half auch nicht, das ihm sein zweiter Vorname nach einem Kriegshelden oder viel mehr -opfer gegeben wurde. Der jüngste Bruder seiner Großmutter, im ersten Weltkrieg, 1918 im Gas in Frankreich gefallen. Genau Hundert Jahre später, sollter er an dessen Grab in der Normandie stehen. Was sich auch nicht gerade gut anfühlte, aber vielleicht hätte der Unglückliche auch sonst gar keinen Platz in der Erinnerung seines Nachfahren gefunden. Dort schloß er mit diesem kleinen Kindheitstrauma aber immerhin seinen Frieden. Als Kind aber suchte er schnell einen Ausweg in cooleren Versionen oder Abkürzungen.

Es gab also eine Vorgeschichte und nicht nur eine, die er mit der erwähnten Ahnenforschung immerhin weiter entdecken durfte und auf die wir im Verlauf dieser Geschichte, sicher auch noch mehr als bereits im Vorwort, zu sprechen kommen.

Beginnen wir aber mit seinem eigentlichen Leben, folgerichtig vor dem Sturm, denn von Anbeginn, wir erwähnten es bereits kurz, stand seine Existenz auf Messers Schneide. Er lag falschrum im Leib seiner Mutter und der Kaiserschnitt gelang zwar, aber ein Haarriss in der Luftröhre, hätte nach der Geburt, dem Säugling beinah gleich wieder die Luft abgedreht. Denn die Zunahme von Nahrung ohne Verschlucken war zunächst nicht möglich gewesen. Davon blieb ihm bis zur Lebensmitte sogar noch ein imaginärer Schluckreflex. Nur mit Geduld und maschineller Fütterung, in einer Spezialklinik, die zu dieser Zeit der späten 60iger Jahre, gerade erst möglich war, überlebte er.

Als Überlebender wurde er in der Folge, wie bereits erwähnt, überaus geliebt, blieb trotzdem natürlich nicht von weiteren Katastrophen verschont, wie sie Kleinkinder immer wieder mal ereilen können. Von Beginn an eher ein ruhiges, folgsames Kind, prägte sich ihm eine zu harte Bestrafung im Kindergarten ein, wo er für etwas getadelt wurde, was er nicht begangen hatte. Es war folglich das erste Mal, das sein Urvertrauen in andere Menschen erschüttert wurde. In das eigentlich schuldige Kind, welches schamlos und bewusst ihn als Übeltäter verleumdet hatte um selbst der Strafe zu entgehen und in die Erzieherin, die ihm, dem in seinen eigenen Augen immer tugendhaften, nicht hatte glauben wollen.

Körperliche Blessuren gab es natürlich auch zu Hauf, neben den üblichen wunden Knien mit zerrissenen Hosen, kam es zweimal zu schweren Gehirnerschütterungen. Zuerst beim Treppensturz aus der Küchentür, die er wohl zu eilig passieren wollte. Der Vater trug ihn blutüberströmt zum Hausarzt, der zum Glück nur zwei Häuser weiter seine Praxis hatte. Das zweite Mal schon im zweiten Schuljahr, als er in wildem Räuber- und Gendarmspiel, das vorstehende Dach eines Blockhauses auf dem Waldspielplatz übersah und im Auto eines wohl schon angetrunkenen Besuchers, des zur gleichen Zeit stattfindenden Waldfestes, vermutlich unter Missachtung aller Geschwindigkeitsgebote, zur Klink in der Nachbarstadt gefahren wurde, wo er drei Wochen verbleiben musst, um wieder zu Sinnen zu kommen.

Natürlich würde das heute nicht mehr passieren. Also, der lange Aufenthalt in einer Klinik, nur wegen einer Gehirnerschütterung. Immerhin brachte es ihm eine coole Zeit und eine Mappe mit gemalten Bildern seiner Mitschülerinnen und Mitschüler ein, einige davon recht schräge Darstellungen, wie sie sich das Geschehene vorstellten. Also blutig, aber nett. Dieses an sich negative Erlebnis hatte daher, wie es manchmal im Leben so ist, zur Folge, dass man plötzlich ein neues Kapitel aufschlägt, das vielleicht sonst für viel später vorgesehen gewesen wäre oder sogar gar nicht stattgefunden hätte. So wurde er in der Nacht des Geschehens, zuerst in das offenbar einzige, gerade freie Bett verlegt, das in einem Zimmer mit sechs alten Männern stand, die genau in diesem Moment als er hineingeschoben wurde, den Tatort schauten. Somit sah er, mit einer Gehirnerschütterung, zum ersten Mal im Leben, einen Krimi, den er zuhause bis dahin noch nie hatte schauen dürfen. Damals dachte man sich scheinbar nichts dabei. Der Inhalt des Films verfolgte ihn allerdings noch lange in diversen Alpträumen.

Die Zeit im Krankenhaus war auch ansonsten sehr intensiv, mit seinen späteren Zimmergenossen, trieb er es zum Leidwesen der Krankenschwestern wild. Vielleicht ein erstes Anzeichen dafür, welche Energie in dem unscheinbaren kleinen Kerl steckte, die nur auf eine Gelegenheit wartete auszubrechen. Man sang den ganzen Tag, am liebsten natürlich während der verordneten Mitagsruhe, lauthals Schlager, warf mit der täglichen, ungenießbaren Suppe um sich, erzählte sich von früh bis spät schmutzige Witze und demolierte alles Mobiliar des Krankenzimmers, was nicht fest genug verschraubt war. Er freundete sich mit einem, der ihm bis dahin fremden Jungen und Zimmergenossen so gut an, dass dieser ihn dazu einlud ihn in seinem Zelt zu besuchen. Denn er war mit seinen Eltern im Urlaub bei einer nahegelegenen Mühle zu Gast und hatte dort Blinddarmschmerzen bekommen, den er in der Folge verlustig wurde.

Nun ja, vielleicht war er auch zuvor nicht ganz so unscheinbar gewesen sondern er unterschied sich eigentlich schon immer sehr von den anderen Jungen des Dorfes. Was sicher nicht nur seiner eigenen Wahrnehmung entsprach. Er trug das Haar schon früh eher länger, war wie sich herausstellte etwas heller, als der überwiegende Rest seiner Klasse, er verstand sich auch mit den Mädchen vortrefflich, was jeder andere Junge in seinem Umfeld mit Argwohn und Verständnislosigkeit betrachtete. Aber so kam es, dass er, mit diesen weiblichen Stimmen, zum Klassensprecher gewählt wurde, in der gesamten Grundschulzeit. Dass darum alle Jungs ihn irgendwie doch achteten und nicht verprügelten, wie sie es sonst miteinander gegenseitig und eigentlich täglich taten und die meisten Mädchen ihn bereits in dieser frühen Phase mochten, ergab sich einfach, ohne dass er das angestrebt hätte. Mit der schönsten und vor allem taffsten von ihnen, war er sogar zusammen. Wenn man das in dieser vor pubertären Zeit schon so bezeichnen wollte.

Diese wohnte zudem in nächster Nachbarschaft und prägte sein erstes Bild des anderen Geschlechts, über die Mutter hinaus, auf jeden Fall nachhaltig. Denn ihr Charakter, nein dass war sicher nicht nur ein aus heutiger Gender Perspektive geprägte Sichtweise, war auch damals schon das, was ihn auch bei späteren Beziehungen, am meisten beeindrucken konnte an Frauen. Sie war ein ganz cleveres Mädchen, das wusste was es wollte, eigensinnig war in mancher Hinsicht, aber auch viel Fantasie und Ausstrahlung hatte. Sie hob sich deutlich von den anderen ab und das beste war, sie fühlte sich offenbar auch zu ihm hingezogen, trotzdem sie das natürlich nie so richtig offen zugeben wollte. Sie verbrachten einige seiner schönsten Kindheits-Sommer zusammen und dabei schrieb er mit ihr auch seine erste eigene, leider verschollene Geschichte auf und auch worum es dabei ging, hatte er inzwischen vergessen. Vielleicht hat sie sie ja noch, ebenso wie ein großes Foto von ihnen beiden, auf dem er sie umarmte. Was sie, wie er sich heute noch schmunzelnd erinnerte, eigentlich nicht wollte, es nur für den Fotografen zuließ und darum darauf eher nicht lächelte.

Sie hatte zudem einen coolen Vater, der war Kriminalkommissar und einmal war er mit ihr und ihm angeln. Wobei er sich noch erinnerte, kurzzeitig sehr stolz darauf gewesen zu sein, seinen ersten Hecht gefangen zu haben, der aber zu seiner Bedauern, weil der Fisch noch zu klein war, wieder aus gewässert werden musste. Sie hatte ohnehin Mitleid mit dem Fisch. Sie lebte auch viel instinktiver, liebte den großen Garten und ein Gartenhäuschen, in dem sie öfter übernachten durften, mit ihren Katzen und später ihrem Hund. Einen Riesenschnauzer, der ihn irgendwann aus Eifersucht biss, was seine Beziehung zu Hunden zunächst nicht gerade vorteilhaft beginnen ließ. Eine ebenso coole und vor allem attraktive junge Mutter hatte sie auch. Unter den Frauen im Dorf stach sie, wie die Tochter deutlich heraus, sie kleidete und verhielt sich anders, einfach moderner und er stand sehr auf ihre rauchige Stimme.

Ihre Wege sollten sich leider trennen und zwar symbolisch, an der zu Anfang des Kapitels bereits erwähnten Eiche. Vermutlich zwangsläufig, mit der Pubertät, denn da musste man sich ja plötzlich doof finden, aber auch weil das Schicksal so oft etwas anderes geplant hat, als das, was sich manchmal in der im Grunde meist sorgenfreien frühen Kindheit so spielerisch leicht verhält zueinander. Trennung von tollen Frauen war eine Erfahrung, die er auch schon vor ihr und in der noch wartenden Zukunft zu oft, machen musste, denn eigentlich hatte er schon sehr früh eine sehr gute Freundin gehabt, die in einer riesigen Villa lebte, mit einem Spielzimmer, so groß wie die ganzen Wohnungen anderer Familien. Darin ein Puppenhaus, neben dem man aufrecht stehen konnte. Eine unvergessene Erinnerung. Aber leider noch vor der Grundschule, zog sie mit ihren Eltern in die USA und er hörte nie mehr von ihr etwas, außer einem einzigen und letzten zeitnahen Brief. Einzig das Schicksal entscheidet darüber, welche Wege sich lange kreuzen und welche vielleicht gar nicht.

Die erste längere Zeit als Hahn im Korb ging also mit einem lauten Knall zu Ende oder besser mit dem aufgebrachten Geschrei der jungen Hennen, die sich damit vermutlich, zum ersten Mal emanzipieren wollten. Nur ausgerechnet von jenem einzigen Exemplar des anderen Geschlechtes im Dorf, der sie verstand. Aber das zeigte ihm zugleich auch schon früh, wie verrückt und irrational, die weibliche Psyche ihre Besitzerinnen, manchmal agieren lässt, dass sie sich zu gerne ambivalent durch das Leben treiben lassen. Aber vermutlich sind wir Männer im Grunde auch nicht viel anders.

Einen Status zu verlieren ist nie einfach, in seinem Fall, hatte dies zunächst eine sehr prägende Wirkung, aber wie es geschah und wo, ist dabei fast symbolisch für seinen Charakter. Denn er war von Beginn an jemand, auf den man zählen konnte, er stand zu seinem Wort, er kniff nie vor der Verantwortung. Was aber vielleicht manchmal auch im späteren Leben cleverer gewesen wäre. So dass er schließlich alleine da stand am Baum, als Sie ihm die Freundschaft aufkündigte und nur dafür, mit einer Horde von Mädchen im Rücken am Treffpunkt erschien.

Er hatte lange auf sie gewartet, vielleicht ein wenig gehofft, sie würde nicht wissen, welcher Baum gemeint war. Darum hatte er diesen Treffpunkt selbst vorgeschlagen und er war da, wie die Eiche selbst. Kurz hatte er daraus eine Art Gruppenduell machen wollen, Jungs gegen Mädchen, aber all die anderen Jungs hatten gekniffen. Vielleicht ihre stille Rache, da sie ihn schon immer beneidet hatten um seine privilegierte Stellung beim anderen Geschlecht, aber in seinen Augen war es einfach nur Feigheit.

Als sie ihn gefunden hatten, erkannte er auf Ihren Lippen den spöttischen Ausdruck, den er in den Wochen davor öfter gesehen hatte. Sie hatte sich verändert, war zur Anführerin geworden, der sich andere, so unterschiedliche Mädchen wie sie auch später Frauen werden sollten, unterordneten und um ihre Anerkennung buhlten. Hier erkannte er vielleicht zum ersten Mal, das die menschlichen Verhaltensmuster, was Hierarchie und Macht betrifft, kein Geschlecht haben. Er sah noch immer mehr in ihr, aber sie versteckte sich hinter einer Rolle. Er war hingegen alleine, also lachten sie ihn aus, aber zugleich spürte er Unsicherheit und es brachte ihm nicht nur Spott, sondern erstaunlicherweise, wenn auch nur versteckt, Achtung ein, zumindest derer Mädchen, die diese Charakterstärke in ihm sahen, sich ganz alleine ihnen gestellt zu haben.

Es war ein Pyrrhussieg, denn zugleich war es trotzdem ein trauriger Wendepunkt in seinem Leben, der ihn zunächst in Selbstzweifel stürzte, die er erst ungefähr zehn Jahre später so ganz wieder abschütteln konnte.

Kinder können grausam sein, das konnte er selbst allerdings nie, musste es aber doch einige Male erleben, wie ja auch schon im Kindergarten. Aber dieses Verhalten ist natürlich nur ein Spiegel der Gesellschaft. Die Erwachsenen sind die Vorbilder, was man sieht und was scheinbar erfolgreich ist, ahmt man nach. Er funktionierte nie so, war zum Beispiel nicht in der Lage in der Schule zu betrügen, nicht weil er zu feige dafür gewesen wäre, sondern er war einfach zu stolz. Sowas ging ihm gegen die Ehre. Gleichzeitig wäre das, nachdem er auch hier die Grenzen seiner natürlichen Begabung erreicht hatte, schlauer gewesen. Denn es taten alle, die nicht gesegnet waren mit überbordender Intelligenz oder einfach nur zu faul zum Lernen. Nach der Grundschule war er auf dem Gymnasium nämlich nicht mehr der Primus. Hier galten höhere Standards und Fleiß und Ehrgeiz, mit allen auch unlauteren Mitteln, waren gefragt. Das war, wie sich schnell herausstellte, nicht seine Welt. Für ihn galt, was er natürlich erst viel später verstand, emotionale Intelligenz mehr. Er würde lieber schön und arm sterben, als böse und reich werden.

Als Klassensprecher, war er in diesem Sinne natürlich der Richtige, so verfocht er schon in der Grundschule regelrechte Schlachten mit willkürlichen Lehrern und der Schulleitung um Gerechtigkeit. Er verstand das Amt nie als nur eine Art proforma Position, zur Überraschung aller, sah er sich auf Augenhöhe mit den Lehrern, die dem bald anerkennend oder mindestens widerwillig Respekt zollten. Ebenso war es bei Klassenkameraden. Wenn er zwischen die Kämpfe oder Zankereien ging, hörten sie auf damit. Das gab ihm natürlich Selbstvertrauen, ließ ihn aber zugleich auch früh am Verstand der Welt zweifeln. Warum gab es Krieg zwischen den Menschen? Ungleichheit, Neid, Missgunst, Unfairness, wenn es doch so leicht war anders zu sein. Aber offenbar war er da alleine. Ein Erstaunen, das ihn zugleich immer wieder mit leichtem Unbehagen erfüllte.

So einfach lassen sich Menschen natürlich nicht in Schubladen stecken, obwohl wir dazu neigen. Jeder ist vielschichtig und kann theoretisch im Leben immer wieder umkehren und neue Wege gehen, aber trotzdem ist schon früh etwas in uns festgelegt, in dem wir uns immer wieder, bis zum Lebensende erkennen. Nur auch wenn diese Wahrnehmung „anders“ zu sein in ihm sich verfestigte, blieb erstaunlicherweise, sein im Allgemeinen positives Menschenbild davon unerschüttert. Denn warum sollte es nicht auch andere geben, die das auf ähnliche Weise waren, auf diesem Planeten oder wenigstens im Universum. Solchen Gedanken hing er gerne nach, im Wald, auf den im Sturm umgestürzten Bäumen oder im Gras des eigenen Gartens.

Aus heutiger Sicht, wurde ihm darum aber auch schon sehr früh klar, er war damals schon der, der er später auch immer noch blieb und auch dabei spielten seine Eltern eine ganz entscheidende Rolle. Er erkannte das Charakter, Gene, Erziehung und Vorbild, ein in ihm glücklicher, zufälliger Cocktail waren, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Darum wohl interessierte er sich später überhaupt für seine Vorfahren, denn es war doch sehr spannend sich selbst in ihnen entdecken zu wollen und darüber hinaus auch die Geschichte der Menschen an sich. Schon früh entwickelte er für die Vergangenheit: die Pyramiden, die griechischen Tempel, die Indianer, das Mittelalter, aber auch für Science Fiction, eine Passion und wäre gerne, so sein erster Berufswunsch, ein großer Forscher geworden. Den Skarabäus, den er von seiner Lieblingsgeschichtslehrerin Frau Hannibal, sie hieß wirklich so, zur Belohnung für den großen Eifer in ihrem Unterricht bekommen hatte, trug er lange ganz stolz, an einer Kette um den Hals und besaß ihn sogar noch bis in die Gegenwart.

Kapitel 3: Jugend

Mit der Jugend weitete sich sein Bewusstsein noch mehr für seine Mitmenschen. Eine ganz wichtige Bezugsperson, wie schon kurz erwähnt, war hier besonders sein älterer Bruder. Eine ganz kurze Zeit teilten sie sich noch die Dachkammer, doch dann ging der 14 Jahre ältere eigene Wege. Zurück ließ dieser aber zahlreiche Spuren in ihm und um ihn herum, seine Platten, seine Comics, Bücher und spannende Zeitschriften für Ältere. So hatte er das Privileg, seinen Geschmack, in vielen Bereichen, vorzeitig und nicht wie seine Klassenkameraden nur an dem zu bilden, was für sie der aktueller Zeitgeist bereit hielt. Die frühen Beatplatten seines Bruders stellten beispielsweise eine viel breitere Grundlage für seine wachsende Musik Vorlieben dar und für einen insgesamt vermutlich dadurch, wie man heute sagen würde sehr viel breitere und diversere Wahrnehmung.

Am Bruder orientierte er sich auch sonst sehr gerne, was natürlich schon früher und eher unfreiwillig, mit den ererbten Spielsachen oder Anziehsachen begann. Da der Abstand so groß war, wurde vieles von den Gleichaltrigen dann schon wieder als cool wahrgenommen. Sport, Filme, Musik, Bücher und überhaupt war der Älter für den Jüngeren in den ersten Jahren eine fast nur positiv empfundene und besondere Beziehung, die später leider irgendwann einem Wandel unterworfen war, den sie beide nicht mehr so ganz einfangen konnten. Denn der nur kurz aus dem Elternhaus ausgezogene, kam mit Frau und Kind dahin zurück und so wohnten sie erneut zusammen, allerdings in Stockwerken getrennt. In mancher Hinsicht eine etwas absurde Situation, die irgendwie auch eine schleichende Entfremdung mit sich brachte, was er in späteren Jahren sehr bedauert und nie ganz verstanden hatte.

Zunächst aber konnte er gerade von der Zwischenstellung die der Bruder hatte, als jugendlich männliches Vorbild, im Gegensatz zum dafür meist zu alten Vater, viel profitieren.

Während er schlief brannte dann das alte Kino neben dem eigenen Haus ab. Vielleicht war diese erneute beinah Katastrophe sinnbildlich für eine gewisse Schlafmützigkeit seiner Jugend. Muhamed Ali wurde Weltmeister, aber sein Bruder, der ihn zum „Rumble in the Jungle“ heimlich wecken wollte, bekam ihn nicht wach. Dieser gute Schlaf den er sein Leben lang haben sollte, war aber zugleich wohl auch immer ein vorzüglicher Krafttank, für den Alltag. Alles hat im Leben eben zwei Seiten.

Manche davon waren nicht leicht, aber insgesamt würde er seine Kindheit und Jugend, mit Abstrichen, aber wer macht die in dieser Phase, hat man sie überlebt, nicht, immer als sehr schön bezeichnen. Er wohnte schließlich wirklich privilegiert, in einem riesigen Haus, mit riesigem Garten und einer Kellerbar! Nicht, dass er dort zum heimlichen Trinker wurde, aber dieser besondere Ort, stand voll mit alten Möbeln, war meist aus dem Blick der Erwachsenen und hatte einen morbiden Scharm. Als Kind, ein unendlicher Raum zum Bauen und spielen. Er konnte sich zudem im Dorf, im Wald und überall frei bewegen und er zahlte seinen Eltern Vertrauen mit Zuverlässigkeit zurück. Außerdem war er immer sehr hilfsbereit. Er half der Mutter in der Küche genauso gerne, wie dem Vater im Garten. Niemand musste ihn zweimal fragen, höchstens die Großmutter.

Aber auch trotz diese Wohlbefindens im Allgemeinen, war die spätere Schulzeit ein auf und ab. Nicht dass er ganz versagte, aber das Schulsystem versagte aus seiner Sicht, an ihm, nicht ganz unerheblich. Denn die Schablonen die das Auswahlverfahren „guter oder schlechter“ Schüler auf die Heranwachsenden legte, waren damals noch oft sehr einseitig. Der an sich kluge Kopf scheiterte an einem einzigen Mangel, nämlich der fehlenden Sprachbegabung. Was wenn man es so formuliert, ziemlich absurd klingt, denn im Deutschen war er da eigentlich herausragend. Nur wurde weder dort noch in den Fremdsprachen, Sprachkreativität, Fantasie oder Ausdruck nachhaltig belohnt, sondern die Vokabel „Auswendiglernerei“ und Grammatik, als pädagogisches Konzept verkauft.

Als er das Gymnasium wegen schlechter Noten in Französisch und Englisch, auch nach einer Ehrenrunde immer noch, verlassen sollte, schüttelte der Hauptschulleiter im Nachbarort, bei der Suche der Mutter nach einer Alternative, fassungslos den Kopf. Denn in allen anderen Fächern konnte er passable bis gute Noten aufweisen, die aber nach dem fragwürdigen System deutscher Schulen, hier nichts ausgleichen konnten. Immerhin durfte er dann doch an einer Realschule einen Neubeginn wagen. Als etwas älterer Schüler und mit mehr Vorkenntnissen dann endlich auch sprachlich erfolgreich bis zur Mittleren Reife. Es lag wie ihm nun auch klar wurde, an der Art der Vermittlung. Endlich hatte er in Sprachen eine Lehrerin, die sich wirklich bemühte und auch das pädagogische Talent hatte, alle mitzunehmen.

Alles ist immer für etwas gut! Ich wiederhole mich. So war dieser Wechsel, nach Jahren des deprimierenden Kampfes um ein neues Selbstwertgefühl das von Außen beschädigt wurde, schon eine Erlösung und ein Selbst finden, auch in Bereichen, für die nun endlich etwas mehr Zeit blieb.

Allerdings war ein Schulwechsel natürlich immer auch ein Verlust von Freundschaften, alten Bindungen aus der Grundschulzeit und zunächst einem Selbstverständnis, das sich erst wieder aufbauen musste. Zu dieser eigenen Wahrnehmung gehörte sicher auch die Gewaltlosigkeit, die wenige Jahre später dazu führen sollte, dass er den Militärdienst verweigerte. Noch auf dem Gymnasium gab es hierzu einen bezeichnenden Vorfall, der sich ihm einprägen sollte.

In den Pausen spielten die Schüler häufig Ballspiele und nutzen dazu Teile des Hofes. Ein Schuljahr lang, war seine Klasse ausgelagert in einem Gebäude, das sich den Schulhof mit einer Hauptschule teilte. Diese Schule war ziemlich berüchtigt, als Anstalt sehr schwieriger und schnell gewaltbereiter Schüler.

Seine Gruppe geriet eines Tages, durch einen Ball, der dem „König des Hauptschulhofes“ vor die Füße fiel mit diesem und seinen „Höflingen“ in Konflikt. Auch hier zeigte sich wieder, dass er, wie bereits damals an der Eiche, sich nicht beindrucken ließ und auch nicht weg lief, wie der Rest seiner Mannschaft. Der König war ein gedrungener Kraftprotz und auch seine Speichellecker kleine Schränke.

Aus reiner Streitlust und weil er die Gymnasiasten vermutlich eh verachtete, wollte er den Ball nicht mehr herausrücken. Vielleicht auch aus einer Spur Naivität heraus, denn er kannte dieses Milieu schließlich nicht, aber eben auch weil er Charakter besaß, nahm er dem erstaunten Popanz den Ball einfach trotzdem aus der Hand. Diese Furchtlosigkeit im Angesicht der drohenden Schläger, beeindruckte diesen dann tatsächlich so, dass er zunächst ohne Konflikt davon kam.

Statt einem Ausbruch von Gewalt, gegen ihn, wie von seinen Mitschülern in der Situation befürchtet, als sie ihm sein angeblich provozierendes Verhalten im Nachklang zum Vorwurf machten, wurde ihm in der folgenden Pause eine offizielle Herausforderung zugetragen, mit der Wahl der Waffen. Nach der ersten Verblüffung, er kam sich, leicht vorstellbar, gerade wie im Film vor, lachte er den Überbringer aus und wies diesen deutlich und mit dem ihm, in genau diesem Moment klar gewordenen Grundsatz von der Gewaltlosigkeit seiner Seele, zurück. Mit dieser Weigerung, war der Herausforderer dann offensichtlich ein zweites Mal überfordert und er hatte zugleich seine Bühne verloren, war somit kampflos besiegt. Im Nachhinein erfuhr er, ob es übertrieben war oder nicht, wollte er gar nicht wissen, dass der „König“ angeblich ein riesiges Waffenarsenal besaß, das dem eines Erwachsenen Mafiabosses zur Ehre gereicht hätte.

Bezeichnend war aber auch, das Verhalten seines damals besten Freundes, bei einer Begegnung nur zwei Wochen nach dieser Episode. Das, was wir nicht verschweigen wollen, ihn natürlich einige Wochen nicht ganz kalt ließ. Die Drohung mit Gewalt, die im Raum stand, für einen so banalen Anlass, war natürlich schon ein Abgrund, der ihm eine erste Ahnung gab, für gesellschaftliche Fehlentwicklungen, in der nahenden Erwachsenenwelt, die vom Recht des Stärkeren regiert wurde, was sich eben auch auf die Kinder übertrug.

Und auch die Opfer waren darin schnell gefangen. Sein Freund, der ein exzellenter Schüler war und später ein erfolgreicher Wirtschaftsmanager wurde, war klug und ein freundlicher Mensch, aber er hatte eben nicht die gleiche Sturheit wie er. Er konnte sich anpassen um Erfolg zu haben und dass, hatte er, wie die meisten Menschen, schon früh gelernt, war wichtig. Dafür, musste man auch mal nachgeben oder das Maul halten. So kam es, dass sie wenig später zu zweit unterwegs waren in der Stadt und dort zufällig einen der Mitläufer des Königs trafen. Dieser, obwohl ein paar Jahre jünger und kleiner, erlaubte sich einen Angriff auf ihn. Weil er ihm nichts vom eigenen Getränk abgeben wollte. Dieser unerwartete tatsächliche Gewaltausbruch ließ ihn nur den Kopf schütteln und erneut schlug er nicht zurück, obwohl er dem jüngeren Angreifer körperlich klar überlegen gewesen wäre.

In den Augen seines damaligen Freundes war dies eine Dummheit, denn hier hätte er gewinnen können oder zumindest nachgeben mit dem Getränk. In den Augen des frechen Angreifers, etwas womit er sich beim König profilieren konnte und er tat es wohl aus der Fehlwahrnehmung heraus, seine Weigerung zum Kampf mit dem König, sei Schwäche. Beide und schmerzhaft war für ihn besonders die Einschätzung des Freundes, erkannten nicht die eigentliche Stärke in ihm. Er schon, er spürte, er war ganz unbewusst, ein Mensch wie Jesus oder Ghandi wohl gewesen waren, die die andere Wange hin hielten. Figuren die ihn nur wenige Jahre später im Unterricht auch sehr beeindruckten.

Doch Religion, auch wenn sie ihn historisch interessierte, war aber nie etwas, ebenso wie jede andere Form der Ideologie, politisch oder sonst wie motiviert, was ihn als Lebenskonzept reizen konnte. Auch wenn er bei der Konfirmationsprüfung noch die ganze Kirchengemeine beeindruckt hatte, das den Eltern hinter seinem Rücken zum zukünftigen Pfarrer gratuliert wurde. Denn eine weitere Charakterzug von ihm war, dass er auch in hitzigen Diskussionen immer neutral denken und die Gegenposition einnehmen konnte oder wollte. Anderseits war es ihm darum wohl auch nie möglich, sich für irgendetwas wirklich „übertrieben“ zu begeistern. Denn sich selbst und alles „kritisch zu hinterfragen“, war eine nicht unterdrückbare Grundeigenschaft für ihn. Auch das machte ihn oft zum Außenseiter, aber eben auch zu jemandem, der sich immer wieder neu erfinden konnte oder in der Lage war auf dem falschen Weg umzukehren. Das erkennen und können so wenige.

Auf der neuen Schule gab es dann auch endlich wieder ein kleines Erweckungserlebnis seiner literarischen Fähigkeiten, das an sich banal, aber in seiner Innenwirkung für ihn besonders war. Er schrieb für eine Theatergruppe einen kurzen Sketch, den er dann auch selbst, vor laufender Kamera spielte. Um diese Zeit fand er in seine Schöpferkraft außerhalb der Matura zurück und die Qualität seiner Freundschaften begann sich endlich wieder auf neue Interessen zu verlagern, die auch schon einen Hinweis für sein späteres berufliche Leben geben sollten und das seiner Freunde. Der Kameramann der Gruppe, wurde nur wenige Jahre später in den USA, zumindest zeitweise, zum begabten Regisseur Nachwuchs gezählt.

Natürlich gab es schon in der Kindheit gemeinsame Interessen mit Freunden, ob das Fußball, Tischtennis oder auch nur das wunderbare Versteckspielen im Farnkraut des nahen Waldes war. Insbesondere spielte dabei ein neuer Ortsteil „Im Schlag“ eine Rolle. Dort lebten damals erst vor kurzem zugezogene Familien, deren Kinder zufällig im gleichen Alter unseres Protagonisten waren und sowohl in der Grundschule, als auch einige auf dem Gymnasium, dann mit ihm in der gleichen Klasse waren. Im Gegensatz zu den „Hinterdörflern“ waren sie überwiegend Kinder von Besserverdienern und Intellektuellen, die Chemie stimmte hier trotzdem zumindest oberflächlich mehr. So ergab sich eine mehr oder weniger Freundesgruppe für die Nachmittagsbeschäftigung, die sich natürlich aber aus sehr unterschiedlichsten Charakteren zusammensetzte, die nicht immer seinem Geschmack entsprachen. Das viel Geld nicht zwangsläufig gute Menschen formt, wurde ihm hier bereits bewusst.

Sein damals bester Freund, zog leider schon im zweiten Oberschuljahr weg, ein anderer schaffte nicht den Sprung ins Gymnasium und manchmal gab es Altersunterschiede von 2-3 Jahren in der Freundesgruppe, die nicht selten ausschlaggebend für die Qualität der Freundschaft war. Äußerlichkeiten, die für ihn eigentlich nie eine Rolle spielten, für andere aber schon. Oft prägte die Meinung und das Verhalten der Eltern auch hier, jenes der Kinder und mit Menschen die immer nur den eigenen Vorteil sahen, konnte er sich auch später nie wirklich anfreunden.

Eine wichtige Rolle bis ins Jugendalter hinein spielten auch seine Vettern, die hier noch unbedingt einer Erwähnung bedürfen. Es gab solche zwar auch im Dorf, der Bruder seines Vaters war sogar sehr aktiv gewesen, aber die zunächst enge Bindung zwischen den Familien der Brüder, war schon vor seiner Zeit leider so erkaltet, dass sich dies auch auf seiner Ebene nicht mehr richtig erwärmen lies. Vielleicht, wenn es ein gleichaltrige Ponton gegeben hätte, aber sie waren entweder jünger oder viel älter. Zudem gab es längst festgefahrene Ressentiments, insbesondere wohl zwischen den Ehefrauen der Brüder, am stärksten bei seiner Mutter und es ist nun mal so, dass fast immer die Frauen die Qualität der Familienbeziehungen bestimmen, was auch logisch ist, weil sie ganz natürlich mehr der Motor des sozialen Austausches und der Kommunikation sind. Nur entscheiden Frau eben oft alles auch sehr emotional, es gibt beinah nur schwarz oder weiß, selten ein dazwischen. Man soll ja wirklich keine Klischees pflegen, es ist nur eine Beobachtung, die sich im Einzelfall bestimmt widerlegen lässt. Aber Ausnahmen bestimmen eben auch oft nur die Regel.

Zum Ausgleich waren die Cousins mütterlicherseits gleichaltrig und da sie, zwar in einer etwas weiter entfernten Nachbarstadt lebten, mehrmals im Jahr aber und insbesondere, nachdem deren Eltern im besagten „Schlag“ ein zweites Haus gebaut hatten, regelmäßig ins Dorf kamen, natürlich überwiegend in den Ferien, sah man sich relativ oft. Waren sie Freunde? Das ist schwer zu beurteilen, denn man war verwandt, aber sich doch in vielem nicht wirklich ähnlich oder gar einig. Insbesondere aber faszinierte ihn immer wieder die sprichwörtliche Uneinigkeit der Brüder untereinander, die sich fast ständig und bei den aus seiner Sicht, nichtigsten Dingen, in den Haaren lagen. Diesen Profilierungskampf miteinander, den Geschwister oft haben, kannte er in der Kindheit nicht, wegen des großen Abstandes zu seinem Bruder. Trotzdem mag Konkurrenzdenken oder sogar Neid, auf seinen spätere Lebensweg, auch das Verhältnis zwischen seinem Bruder der in gewisser Weise irgendwann im Dorf blieb und ihm. unbewusst beeinflusst haben.

Zumindest verband ihn mit den Cousins eine Zeit lang, gemeinsame Interessen. Zunächst das Spiel mit „kleinen Soldaten“ wo er seinen Hang zur Lust am „aufgeben“ oder „verlieren“ entdeckte, ganz im Gegensatz zum älteren der Brüder, der im Gleichklang mit der Gesellschaftsnorm immer ein Gewinnertyp sein wollte und auch später ein erfolgreicher Wissenschaftler wurde. Auch bei anderen Beschäftigungen nicht weniger „Gewalt lastig“ beim Fantasy- Rollenspiel. Diese Welten faszinierten ihn im Spiel wie in Büchern, bis ins junge Erwachsenen Leben, aber ihn interessierte dabei fast immer nur die Kreativität des Spiels an sich, der Hintergrund der Figuren, die komplexen Regeln und endlich vor allem, die Lust daran eigene Geschichten und Welten zu erschaffen. Hier begann er nach den Vorbildern vom Herrn der Ringe und dem Hobbit, mit der eigenen großen Saga, ein noch immer lebender Text, der vielleicht sein Vermächtnis sein kann, oder auch auf immer unvollendet und bedeutungslose Prosa bleiben wird. Entscheidend war auch hierbei, wie im allen Dingen für ihn nie der Erfolg, sondern das Erlebnis des Schreibens an sich.

So inspirierten ihn also schon früh Bücher und Geschichten überhaupt. Aber dass, das zum Beruf werden würde, war noch weit weg und zunächst gab es auch genug, was ihn im hier und jetzt und mit Vollgas Richtung Pubertät, eher nicht so gut gelang. Er hatte weiterhin mit Übergewicht zu kämpfen, was seinem guten Appetit und der gesunden aber deftigen Landküche zu verdanken war, bis er in einem Sommer während seine Ausbildung die Reißleine zog und zum ersten Mal, auch für sich selbst unter Beweis stellte, dass er sehr diszipliniert sein konnte. Ganze sechs Wochen ernährte er sich nur von Wasser und Brot. Von da an hatte er das im Griff. Mit den Pickeln, zu viel Onanieren oder Nächte vor dem eigenen Fernseher, war es hingegen schwieriger, aber das blieb nur eine Problem der Lebensphase, durch die alle irgendwann mehr schlecht als Recht durch müssen. Danach erst kamen die Mädchen wieder in seinen Fokus und damit größere Schritte zum Erwachsen werden, welche natürlich nicht immer gleich gut gelingen wollten, manchmal ja und bei sicher nicht so wenigen anderen, auch bis ins hohe Alter.

Der Sport, der ihn die ganze Zeit begleitete, das Spiel an der grünen Platte lief nebenher, war aber trotzdem ein sehr wichtiger Bestandteil seines Lebens. Aus ihm zog er in den schlechten Phasen einige gute Gefühle, insbesondere aus Siegen natürlich und aus der Gemeinschaft der Mitspieler die auch seine Freunde wurden. Er war mit dem kleinen Ball nicht unbegabt, aber insbesondere hatte er Nervenstärke, womit er bis zu einem gewissen Niveau, sehr erfolgreich war, weil er seine Gegner dadurch zur Verzweiflung brachte. Auch im Fußball oder anderen Ballsportarten war er nie schlecht gewesen, aber konnte sich im Mannschaftsspiel nicht so profilieren, wie als Einzelkönner an der Platte. Einige denkwürdige Siege aber auch Niederlagen in der Jugend, würden ihm hier für immer in Erinnerung bleiben. Vom erste Gewinn der Jugend-Vereinsmeisterschaft, wo er im Überschwang den Pokaldeckel durch die Halle schleuderte, so dass der Siegerkranz abbrach, über seine spätere Zeit als Jugendtrainer, hin zu den tollen Jahren mit einer jungen Herrenmannschaft, die zusammen älter und besser wurden und es bis in die Bezirksklasse schaffte. Dabei stellte er erneut fest, dass man ihm Verantwortung entgegen brachte. Das er zum Mannschaftsführer gewählt wurde und er es auch gerne war. Führen und Vertrauen von jenen die von ihm geführt wurden, war eine Begabung, die er auch später immer wieder unter Beweis stellen konnte.

Kapitel 4: Ausbildung

Was will man werden? Die Antwort auf diese Frage war ihm lange nicht klar. Er hatte sie sich auch nie wirklich gestellt, bis er nicht mehr darum herum kam. Astronaut, Pilot, Arzt? Andere Jugendliche schienen da klare Vorstellungen zu haben, aber er eigentlich nie. Gut, irgendwann kam die Idee Schriftsteller zu sein ihm ganz charmant vor, aber eine klare Vorstellung davon oder etwa einen Plan, hatte er dazu nicht. Gleichzeitig standen andere Dinge an, die mit dem Erwachsenwerden als Junge, zu jeder Zeit wohl, automatisch auf einen zu kamen und wichtiger erschienen. Auto fahren, ein Mädchen küssen oder vielleicht sogar mehrere und natürlich die Gewissensfrage der damaligen Zeit, zum Militär gehen oder nicht.

Hier spielte sein Bruder erneut eine besondere Rolle, der hatte erfolglos versucht den Dienst zu verweigern, 15 Jahre später war dies für den Jüngeren schon wesentlich einfacher. Zwar musste man idiotischerweise, auch noch immer schriftlich begründen, warum man sich zum Beispiel bei einem Luftangriff nicht entscheiden wollte, zwischen dem Piloten und dessen Bombenzielen, aber es gab immerhin nicht die Farce einer Gerichtsverhandlung mehr. Bei der Musterung die er aber trotzdem zuvor hatte über sich ergehen lassen müssen, wurde ihm das ganze Elend des Soldatentums klar, auf das er durch die Erlebnisse seines Vaters, von denen er damals allerdings noch, nur wenige Episoden kannte, mit einer mulmigen Zerrissenheit schaute. Auch sein Vater war ein ungebildeter, verblendeter Jüngling gewesen, der naiv und blauäugig in den Krieg zog. Ebenso würde es der Knabe tun, mit dem er damals gleichzeitig die Musterung erlebte. Er war kräftig und körperlich gesund, konnte aber, so war sein Eindruck, kaum seinen Namen schreiben, er wusste auf Nachfrage jedenfalls nicht mal die Postleitzahl seines Heimatortes. Der gequälte Blick des Unteroffiziers, der die Musterung leitete, würde ihm immer in Erinnerung bleiben, als dieser Dummkopf auf die Frage, ober er dienen wolle, stramm Hurra rief, während er, der offensichtlich intelligentere, der eine steile Offizierskarriere hätte hinlegen können, ihn süffisant anlächelte und das Kreuz beim Verweigern setzte.

Es war mehr impulsiv, eine Bauchentscheidung und vielleicht ein Nacheifern des Bruders, aber wie schon zuvor beschrieben, auch eine sich festigende Geisteshaltung oder zumindest die gesunde Angst nicht unnötig früh sterben zu wollen, für die politischen Überzeugungen anderer. Natürlich würde er in Wahrheit kämpfen, wenn es ein gerechter Krieg war, gegen einen Aggressor oder gegen Diktatur, aber es ging natürlich um das Prinzip, Konflikte besser friedlich zu lösen.

Er gehörte auch in der folgenden Zukunft nie zu den Planern oder Lebensstrategen. Er verließ sich auf sein Gefühl im Moment und das trieb ihn dahin, wo es ihn eben hintrieb, nicht immer waren es glückliche Entscheidungen, aber eben die eigenen. Denn wenn er sich entschieden hatte, dann stand er dazu und orientierte sich nicht um, ob es noch etwas besseres gab. So ließ er sich auch durch die Möglichkeiten treiben, welchen Beruf er ergreifen sollte, die Ausbildung zum Bibliotheksassistenten war dabei nicht einmal in seinen Träumen irgendwie vorgekommen, bevor er nicht zum ersten Mal ein Verzeichnis des Arbeitsamtes über alle Berufe mit Büchern in die Hand genommen hatte. Der Vorschlag kam diesmal direkt von seinem Bruder. Dieser war Lehrer geworden, aber dafür musste man ja nun mal Abitur haben und studieren. Zum Zeitpunkt seiner ersten Berufswahl, hatte er diese Voraussetzungen aber noch nicht erfüllt und dachte auch eigentlich nicht daran, denn von der Schule hatte er nach diesem Schlingerkurs mit Ehrenrunde, erstmal mehr als genug und immer noch konnte man ja irgendwann trotzdem ein Einstein werden.

Bücher waren Geschichten und das alleine faszinierte ihn daran und die Aufgaben der Lehre erschienen zunächst leicht. Bücher sortieren und geordnet in die Regale stellen, was war da groß zu können? Es gab auch noch ein paar andere Optionen, die er ganz interessant fand, z.B. Kartograph, denn er liebte Landkarten und zeichnete schon früh sehr gerne und auch ziemlich gut. Buchhändler war auch so eine, das erschien ihm nicht ganz so verstaubt wie Bibliotheken, er war bis dahin ohnehin noch nie in einer gewesen, außer vielleicht in seinem Kopf, mit den Helden aus der Name der Rose, aber das erschien ihm unglaubwürdig romantisch. Was sich dann leider auch bestätigte. Aber er wurde in keiner Buchhandlung genommen. So wurde ihm die Entscheidung also ohnehin abgenommen, denn er musst schließlich nehmen, was er bekommen konnte. Immerhin war es eine Stelle in der größten und wichtigsten Stadt der Umgebung. Bei allen anderen Bewerbungen gab es nur Absagen. Das Schicksal war eben unbestechlich, könnte man meinen.

Somit begann eine neue Zeit. Er hatte inzwischen den Führerschein erlangt, natürlich auch hier nicht ohne Ehrenrunde, aber das war, davon war er auch später noch felsenfest überzeugt, nicht seine Schuld gewesen. Das Ganze war eben ein Geschäft. Der Fahrlehrer hatte kein Interesse daran, allen so schnell wie möglich zum „Lappen“ zu verhelfen. Wenn jeder zweite durchfiel, verdiente er eben an den weiteren Fahrstunden mehr. Ob es da tatsächlich geheime Absprachen mit dem Prüfer gab, wusste er natürlich nicht wirklich, aber die Vermutung lag nah und hätte ihn zumindest nicht gewundert, denn er konnte sich an keine größere Verfehlung bei der Prüfungsfahrt erinnern. Mit Wut im Bauch schaffte er den zweiten Versuch und damit war er endlich unabhängig .

Hier zeigte sich auch wieder die sehr liberale Haltung seiner Eltern und das uneingeschränkte Vertrauen, dass sie ihm entgegenbrachten. Er durfte zur großen Stadt, wo die Ausbildung stattfand und zu einer noch größeren zur Berufsschule, mit dem Wagen des Vaters selbst fahren. Das trug viel zum Neuaufbau seines Selbstbewusstseins bei, auch wenn es bis zur völligen Gesundung noch einige Rückschläge zu verkraften hatte. Er war schon ein bisschen groß, aber in manchen Bereichen immer noch auf der Suche. Während der, wie sich leider bestätigte, eher stupiden Arbeit, begann er zu dichten. Seine, wie sich später herausstellen sollte, wirkliche Profession. Hier bedingte die Langeweile vielleicht ein bisschen die Kreativität auf Zetteln. Er war dankbar dafür, denn dies war sein eigentlicher eigener Zugang, das Tor zur Literatur, das er damit für immer durchschreiten sollte. Die Texte zuvor waren nur ein Nachahmen gewesen, trotz natürlich auch persönlicher Note.

Mit seinem 18. Lebensjahr endete dann leider auch das Leben seiner einzigen Großmutter und er bekam etwas Geld vererbt. Nur, mit Geld konnte er auch im weiteren Verlauf seines Lebens, nie gut umgehen und in diesem speziellen Fall war das rasche Ausgeben besonders nützlich, denn es sollte endlich seiner Entjungferung dienen, dem wichtigsten Projekt dieses Zeitabschnittes. Nach dem Erfolg in der Kindheit, war es ihm bis dahin noch nicht wieder so richtig gelungen, die Beliebtheit beim weiblichen Teil der Bevölkerung zurückzuerlangen oder er war bewusst blind für die Avancen unattraktiverer Exemplare geblieben, die es durchaus gegeben hatte und oder nicht clever genug, die Attraktiveren von ihnen für sich zu interessieren, bevor es irgendeinem Großkotz gelang. Woran es auch immer lag, es war an der Zeit es wenigstens einmal vor dem Tod getan zu haben und die große Stadt, die ihm nun täglich vertrauter wurde, bot hier wie es schien endlich alle Möglichkeiten.

Doch der erste, ängstlich immer wieder verschobene Besuch beim horizontalen Gewerbe, wurde nicht gerade eine Erweckung. Die alte ausgemergelte Nutte in deren Finger er geriet, hatte nicht mal eine leichte Versteifung bei ihm hinbekommen, kassierte aber für Nichts, die volle Summe. Diese Pleite war ihm reichlich arg und sorgte aber immerhin dafür, dass er sich seines Körpers endlich wieder bewusster wurde, was mit der vormals erwähnten Diät begann und sich mit Joggen im Wald, besserer Körperpflege und der Bekämpfung von Mundgeruch, auf den ihn sein Bruder, peinlicherweise, irgendwann hinwies, fortsetzte. Damit ging es auch auf diesem Gebiet wieder aufwärts und erste echte Dates waren möglich.

Die Liebe rückte damit in den Fokus seiner Wahrnehmung und auch seines Schreibens.

Aber gleichzeitig kämpfte er um den erfolgreichen Abschluss dieser Phase, was trotz an sich nicht allzu hoher Ansprüche, beinah, wie so oft im Leben, an der Falschheit und den Komplexen anderer Menschen gescheitert wäre, mit denen er es zu tun bekam. Aber natürlich gab es auch hier spannende und schöne Begegnungen. Seine Ausbildungsgenossinnen oder auch die Mitschülerinnen, überwiegend Frauen, an der Berufsschule, auch sein lustiger Ausbilder oder dessen knurriger einarmiger Assistent. Manche Kundenkontakte oder sonstige originelle Episoden mit Menschen, öffneten seinen Horizont in jedem Fall positiv. Aber es gab auch eine verbitterte Bibliothekarin der Großstadt, die im Nebenjob an der Berufsschule unterrichtete und so konnte man es sich nur erklären, aus reiner Gehässigkeit oder eigenen Minderwertigkeitskomplexen, in der Abschlussprüfung, die Schüler herein zulegen versuchte, in dem sie zuvor verkündete was nicht dran käme um dann genau diese Themen abzufragen. Auf diese Art von boshaftem zwischenmenschlichen Verhalten, ob aus Frust im Beruf oder sonst im Leben, trifft man leider immer wieder. Solche Menschen kannte er seit dem Kindergarten, aber unterkriegen ließ er sich dadurch nicht wirklich. Denn insgesamt gelang es ihm nach nur zwei Jahren, einen ordentlichen Abschluss zu erlangen, nachdem er sich allerdings schwor, niemals in diesem Beruf zu arbeiten, zu grau und langweilig war ihm die Welt der Bibliotheken erschienen.

Das sollte sich ändern, aber zunächst war dieses Missfallen also immerhin der Antrieb, nun doch Höheres anzustreben und zur Schule zurückzukehren. Aber es kam zunächst wohl eher ein Sommer der Orientierungslosigkeit, wo er sich zunächst in den Kopf gesetzt hatte Geld zu verdienen, um sich endlich einen eigenen Computer kaufen zu können, einen Atari ST, noch ein Vorgänger des heutigen PC, der ihn als etwas bessere Schreibmaschine immerhin dann noch durch das gesamte Studium begleiten sollte. Sein Schreiben hatte im Vorfeld dieser Sehnsucht sich bereits von handschriftlichen Texten hin zur Schreibmaschine, zunächst ein leichtes Handgerät, dann eine damals noch knapp moderne elektrische Maschine, zu einem höheren Status entwickelte. Zu seinem Glück gab es diese Maschinen im Elternhaus. Einen Kurs dazu musste er im Rahmen seiner Ausbildung ohnehin belegen, lernte es aber trotzdem nie wirklich mit zehn Fingern. Aber auch dadurch möglich, schrieb er nun leidenschaftlich und viel.

Die Arbeit in diesem Sommer des Übergangs, war ebenfalls ein besonderes Erlebnis, wobei er dafür ein anderes, wohl viel schöneres, absagen musste und dies zumindest ein Teil von ihm, lange bereute. Einige seiner besten Freunde fuhren nämlich auf eine Reise nach Portugal, von deren Erlebnissen unterwegs sie später noch lange zehrten. Sie hatten ihn gefragt, nahmen dann aber einen anderen mit, als er sich fürs Arbeiten entschied. Das Quartett dieser Reise, sollte sich eine ewige Freundschaft bewahren. Er schuftete stattdessen in der Fabrik, wo auch sein Vater fast sein ganzes Leben lang gearbeitet hatte und kam so zum ersten Mal mit echter, körperlicher Arbeit in Berührung, die ihm auch nachhaltig in Erinnerung bleiben sollte. Die Glüherrei, das Walz Band, der Schichtdienst und die Gemeinschaft der Arbeiter, in dieser Fabrik, öffnete ihm die Augen für eine andere, viel härtere Überlebenswelt.

Das war vermutlich dann auch ein weiterer Brustlöser für die Entscheidung, doch noch mal den Versuch zu starten das Abitur zu erlangen. Allerdings war er hier zunächst falsch beraten. Denn die Wirtschaftsschule die er im darauffolgenden Jahr besuchte, war in seiner Lehrerschaft und Struktur ein Abbild der kapitalistischen Weltsicht. Hier arbeiteten sich gescheiterte Freiberufler an den armen Schülern ab, tyrannisierten und schikanierten sie wie sie wollten. Ein finsteres Jahr, was darin gipfelte und krachend scheiterte, dass er den Wagen des Vaters aus Frust, gegen den Torpfosten der Garage fuhr. Er verlebte vielleicht seine deprimierenste Silvesterfeier, an der er nur einsam in einer Ecke saß und Gedichte schrieb, hatte aber in diesem Jahr immerhin eine Handvoll wirklich widerständiger neuer Kameraden gewonnen. Allerdings einen von ihnen mit dem er im Sommer danach seinen ersten, weit von der Heimat entfernten Urlaub in Spanien und ohne Eltern verbrachte, fast wieder verloren. Denn dieser war im selben Sommer noch, als Besucher in Ramstein gewesen, wo die Flugschau in der bekannten Katastrophe endete. Doch sein Freund hatte Glück und überlebt und er diesen ersten größeren beinah Verlust Schock seines Erwachsenenlebens.

Dieser Sommer war somit in vielerlei Hinsicht auch heilsam. Er entschied sich danach endlich richtig. Die Schule des zweiten Versuchs, das sollte sich irgendwie bei ihm als Prinzipe verfestigen, war ganz gegenteilig. Hier waren Schüler und Lehrer nicht Feinde sondern sie halfen einander das Ziel zu erreichen. Aus diesem Jahr, an dessen Ende er endlich die zweite Fahrkarte zur Freiheit, nach dem Führerschein, das Abitur, erlangte, kam er wie neugeboren heraus und das in vielerlei Hinsicht. Er war ein Teamplayer geworden, über Fahr- und Lerngemeinschaften und sich nun bei ihm auch langsam, immer stärker ausbildenden, politischen Interessen. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter gründete er, von der Empörung der damaligen mittleren 80iger Jahre motiviert und getragen die „IGAF = Initiative gegen Ausländerhass und Faschismus“. In der heutigen Zeit mit einer vergleichsweise viel größeren Gefahr durch eine rechtsradikale Partei, wäre die Neugründung dieser Gruppe fast wieder angebracht. Damals waren es die Republikaner, eine neue Rechtspartei die Wahlerfolge hatte bei den ewig Gestrigen. Diese, seine ANTIFA -Gruppe, hatte konspirative Treffen, produzierte Flugblätter und Plakate, die in nächtlichen Aktionen die Stadt seiner Schule pflasterten und organisierte schließlich ein großes Konzert um der Empörung in ihren Seelen Ausdruck zu verleihen und den Widerstand in der Bevölkerung zu mobilisieren. Zwar wurde dieses ein Reinfall, finanziell wie auch von der Besucherzahl her, es musste sogar wegen organisatorischer Fehler abgesagt und die Karten zurückgegeben werden, blieb aber für ihn der entscheidende Schritt zur Entwicklung seines eigenen politischen Bewusstseins, das sich fortan dann besonders dem Anliegen der Anti-Atomkraftbewegung, ein Kernkraftwerk stand provozierend nah am anderen Rheinufer und damit, der jungen, aufsteigenden politischen Kraft der Grünen, zuneigte.

Kapitel 5: Der Krankenpfleger

In der Kohl Ära der 80er Jahre war der linke Widerstand und die damit beginnende Erneuerung der bundesrepublikanischen Gesellschaft, hin zu echter Emanzipation, echter Meinungsfreiheit und einem echten Umweltbewusstsein, etwas was auch ihn, in seinen Bann zog, eine Mission seiner Generation, die auch zwischenzeitlich mit dem ersten Turnschuhminister Joshka Fischer und schließlich aber erst im 21. Jahrhundert, zumindest symbolisch mit der ersten Kanzlerin, auch wenn diese noch CDU war, bis hin zu zwiespältigen aber grundsätzlich meinungsfreiheitlichen Wirkung des Internets, #metoo, seine Früchte trug. Zivildienstleistender zu sein fühlte sich also damals schon ein bisschen an, wie ziviler Ungehorsam gegen das Establishment, das aber eben irgendwann nicht mehr abstreiten konnte, dass die Zivis für die Gesellschaft, tausendmal nützlicher waren, als die gelangweilten und reaktionären Vaterlandssöhne in den Kasernen.

Trotzdem wurde das Dienen an dieser Front noch eine Zeit lang erschwert, durch doppelte Zeiten, absurde Regelungen und Ausbeutungsstrukturen an den Einsatzorten. Doch er hatte Glück, seine Erfahrungen in diesem schließlich doch nur einen Jahr, sollten ihn mehr als so manch andere Zeiten des Lebens sozial prägen. Damit war nicht nur der Umgang mit den Patientinnen und Patienten gemeint, sondern auch die Freundschaften und coolen Erlebnisse mit den anderen Zivis. Eine andere Art der männlichen Selbstfindung. Junge Männer, die ein für sich neues Rollenbild suchten, aus seiner Sicht wirkte dies tiefgreifender, als vieles wofür die Emanzipationsbewegung der Frauen auf der Straße demonstrierte.

Die Zufallsgemeinschaft der Zivis, war der Quell viel neuer Orientierung für ihn. Er wohnte zum ersten Mal nicht mehr zuhause und sollte auch nie mehr, mehr als nur zeitweise dahin zurückkehren, sondern in seiner ersten WG, die sich über Gitarrensessions, wilde Partys und zum ersten Mal regelmäßiges selber kochen und endlich auch mehr Mädchen küssen, tief in den „wer bin ich“ Code seines Bewusstseins eintragen.

Die Blues-Rock Musik seines längsten Mitbewohners wurde zum neuen Baustein seines Musikgeschmacks, die zerflossene Freundin eines anderen, suchte Trost bei ihm und gab ihm zugleich das erste Mal überhaupt das Gefühl von einer Frau wirklich begehrt zu werden. Der Humor seiner anderen Kameraden weichte die Ernsthaftigkeit, die sich ihm in der schweren Schulzeit und Ausbildung irgendwie auf der Seele gelegt hatte, endlich ganz auf und die soziale Arbeit die er trotzdem nun ernsthaft verrichten musste, gab dem eigentlichen Ernst des Lebens eine neue Sinnhaftigkeit. Er fuhr Essen aus, betreute blinde, kranke, manchmal ein bisschen verrückte und trotzdem, nur weil er da war, fröhliche Patientinnen oder Patienten, half schwerkranken, oft alten und einsamen Menschen, das Leben irgendwie zu meistern oder ein menschliches Überleben oder Ende zu finden. Dieses Jahr war so sinnstiftend in jeder Sekunde, für ihn, wie für manche, da war er sich sicher, ihr ganzes Leben nicht war.

Am Ende stand er dann aber vor einer schweren Entscheidung. Zurück in die alten Bahnen oder ganz neue Wege gehen. Man könnte sagen, dass er hier Angst vor der Courage bekam, aber vermutlich war sein Weg auch hier, wie vieles zuvor vorbestimmt. Denn er wurde unterbewusst vielleicht nicht Krankenpfleger, Arzt oder Sozialarbeiter, weil dann keine Zeit für die Literatur geblieben wäre. Aber wichtiger noch war die Erkenntnis, zu wissen, er würde sich immer ganz einem Weg verschreiben und dafür aufopfern, so wie er es bei vielen denen er in diesem sozialen Bereich begegnet war, auch gesehen hatte. Doch das bedeutete auch, sie waren nicht selten und zu schnell ausgebrannt. Er hätte für sich nicht die Hand ins Feuer legen können, dass ihm das nicht auch passieren würde. Darum entschied er sich dagegen. Aber er würde diese Menschen auf ewig bewundern und ihnen hier damit zumindest eine literarisches Würdigung zukommen lassen.

Kapitel 6: Studium

Er hätte nicht überall hin gehen können um Bibliothekar zu werden, aber doch weiter weg und dann hätte vieles sich sicher in eine andere Richtung entwickelt, andere Begegnungen, andere Erfahrungen, ein ganz anderes Leben. Er hätte vielleicht eine andere Frau geheiratet, hätte ganz andere Kinder bekommen oder gar keine. Er würde in einer anderen Stadt leben oder einem anderen Land. An diesem Punkt ist es interessant darüber nachzudenken, ob Menschen wirklich füreinander bestimmt sind oder ob nicht alles nur Zufall ist, dem wir mit unseren Entscheidungen nur manchmal ein wenig nachhelfen können. Denn wenn sich die Wege nie kreuzen, kann keine Beziehung oder Erfahrung miteinander entstehen.

In der Phase des Studiums sind aber zumindest viele Menschen zeitweise, endlich befreit von den Zwängen der Herkunft und nehmen das auch bewusst als Chance wahr um neue Erfahrungen und Begegnungen zu sammeln. Gleichzeitig tickt die Uhr. Denn neben der beruflichen Verwirklichung möchte man auch den Partner des Lebens finden. Insbesondere die Frauen, das wurde ihm schon früh klar, waren auch in den 90er Jahren noch immer und vermutlich werden sie es ewig in dieser Altersphase sein, auf der Suche nach dem zukünftigen Schutzraum für sich und die möglichen Kinder und dafür galt es eine stabile Beziehung zu finden, mit einem beruflich erfolgreichen Mann. Diese Einstellung prägte natürlich vor allem die Studentinnen, die aus konservativen Elternhäuser kamen und in den für diese klassischen Studiengängen. Aber auch grundsätzlich, schränkten viele, sicher auch Männer, die in diesen Bahnen dachten, ihre Freiheit früh wieder selbst ein und hatten keine Geduld auf die wahre Liebe zu warten oder übersahen sie, weil ihr Blick zu sehr auf oberflächlich passende Eigenschaften und den schnellen Erfolg des eigenen Werbens gerichtet war.

Er hingegen entdeckte diese Freiheit der Großstadt in die er nun nach der Berufsschule wieder zurückkehrte, erst richtig und verschwendete zunächst keine Gedanken mehr an die eigene Zukunft. Er zog erneut in eine musikalische WG ein, die Uni war ein neuer Lern- und Begegnungsfreiraum, der ihn beglückte und das Studenten Leben, mit langen Diskussionsabenden, viel Kölsch, viel Liebe und vor allem einer diversen Vielfalt, wie sie damals noch nicht zur politischen Doktrin erhoben wurde, sondern in dieser Blase ganz natürlich gelebt werden konnte. Viele seiner Kommilitonen waren schwul oder lesbisch. So orientierte Menschen fühlten sich vom Beruf des Bibliothekars scheinbar angezogen und er nahm für sich wahr, trotzdem er ein Landkind war, dass die liberale Erziehung und die Offenheit des Heimatdorfes und vor allem seiner Eltern, ihn zu diesem Sachverhalt völlig neutral bleiben ließ, eher machte dieser ihn sehr neugierig auf das Anders sein.

Er war ein engagierter Student, zumal ihm dafür Zeit blieb, weil seine Ausbildung anerkannt wurde und er daher nur noch einen Bruchteil der Scheine erwerben musste und auch sonst den meisten Neulingen in dem Bereich, viel voraus hatte. Also wurde er ASTA Vorsitzender und organisierte so manche Demo gegen den Irakkrieg, wo er ganze Kreuzungen der Großstadt stundenlang blockierte, mit einem Standing für die Sache, ohne dafür Kleber zu benötigen, wie die heutige „letzte Generation“. In der Freizeit genoss er viele neue Freundschaften und wechselnde Liebschaften, bis er sich schließlich auf eine Frau festlegte oder vielmehr sie auf ihn. Trotzdem war seine Orientierung keineswegs festgelegt, sondern mehr und mehr offen. Denn er begleitete den einen oder anderen anders orientierten mit durch die Nacht. In der Phase nach dem Studienabschluss, wo er seine feste Beziehung auch wieder beendete, tauchte er an der Seite einer berühmten Vertreterin der Kölner Szene, in die Rolle eines „bewegten Mannes“ ein, der er selbst, wie sein filmisches Ponton, irgendwie auch immer bleiben sollte.

Die Jugend begreift sich ja oft als letzte Generation oder als erste, die einen neuen Weg geht oder etwas hinter sich lässt. Das ist auch gut so! Nur die wenigsten bewahren sich aber dann im weiteren Leben diese Beweglichkeit. Sie geben sie hingegen meistens schnell wieder auf, um zur Ruhe zu kommen. Das ist nachvollziehbar, aber auf vielen Ebenen nicht gut! Denn es bildet den Humus dazu, dass die Gesellschaft sich viel zu langsam weiter entwickelt und aus ihren Klischees und Vorurteilen nicht wirklich herausfindet. Sich davon frei zu machen und nicht in die gleichen Bahnen zu geraten, ist natürlich für keinen und war auch für ihn nicht leicht. Aber zumindest legten seine vielfältigeren Erfahrungen im Studium dafür einen Grundstein, der seinen Charakter weiter und individueller formte.

Danach wusste er, auch wenn so manches Praktikum noch die altbekannten Strukturen aufwies, das er den Beruf seines Lebens gefunden hatte. Der Reiz zum immer weiter studieren war zwar kurzfristig groß, aber er sah schnell wenig Grund darin, noch mehr Zeit zu verschwenden, auch wenn diese Verschwendung mit Lucy oder wem auch immer … in the sky, sich nicht so schlecht anfühlte. Er hatte die Lust in sich entdeckt, etwas zu bewirken, einen Schritt weiter ins Leben zu gehen.

Kapitel 7: Arbeit und echte Liebe

Das Schreiben hatte inzwischen auch im Studium eine für ihn immer wichtigere Rolle eingenommen, aber neben allen anderen Interessen, mehr zweitrangig oder wie im Falle seiner anhaltenden Liebe zur Lyrik, mehr als Instrument der Liebe. Denn aus der natürlichen Hingezogenheit zum anderen Geschlecht hatte sich inzwischen eine tiefere Perspektive entwickelt. Schon in der langen Beziehung zu einer seiner Kommilitoninnen hatte er zum ersten Mal so etwas wie Verbundenheit gespürt und sie in Versen zu fassen versucht und nach der Trennung wirklich gelitten. Jetzt tauchte er nach der frühen Wildheit der Nachstudienphase mit seiner späteren Frau in eine Tiefe ein, die eben seine Sichtweise darauf noch authentisch greifbarer werden ließ, ohne dass er sich ganz von sich selbst abwandte. Er spürte mit ihr hier eine Partnerin auf Augenhöhe, eine Frau die nicht nur den klassischen Lebensweg im Sinn hatte, sondern zunächst sich selbst verwirklichen und trotzdem eine gute Zweisamkeit finden wollte. Das fühlte sich so gut an, dass er blieb, auch wenn ein Teil von ihm ahnte, dass es nach dem ersten schönen Erstaunen, das jemand mit ihm sein Leben verbringen wollte, eben nicht die auf allen Ebenen, ganz erfüllende Liebe bis zum Lebensende, für sie beide sein würde. Aber gab es die überhaupt und wie groß war die Chance ihr wirklich zu begegnen. Ihm war jedenfalls damals schon aus den zeitnahen Erfahrungen, die Bedeutung von seelischer Liebe und körperlicher Leidenschaft als gleichwertig bewusst geworden. Schönheit, die man im anderen sieht, in Körper und Geist, dem konnte man in vielen unterschiedlichen Menschen immer wieder neu begegnen, diese musste sich nicht zwangsläufig nur in einem manifestieren.

Zunächst aber galt es erst einmal Arbeit zu finden und da war er, neben einigen skurrilen Nebenjobs, wie am Fließband der Milchversorgung oder als Einpacker neuartiger Lampen einer Garagenfirma, ganz klar. Er wollte in eine Bibliothek und bekam auch zunächst, als ersten Schritt, den Job als qualifizierte Hilfskraft an der Unibibliothek Köln. Der erste wirkliche Einstieg in die Welt der Literatur und in eine ganz frühe Zeit der neuen, elektronischen Medien. Es herrschte zu seinem Glück darum, eine Aufbruchsstimmung, aus der verstaubtesten Ecke der gesellschaftlichen Wahrnehmung, hin zu einem Beruf der Zukunft. Das beschwingte ihn und verfestigte zugleich auch das neue berufliche Selbstbild, ein wichtiges Mitglied der modernen Gesellschaft werden zu können.

Dazu passte es dann auch, sich in der Liebe erstmal festzulegen ohne dass er das in der Situation so verstanden hätte. Aber unterbewusst war es vermutlich so, dass er es auch wollte und schon kurz danach mit der Auserkorenen in die erste Paarwohnung zog. Neue Rollen überrollen manchmal, aber überwiegend fand er sich gut ein darin und war glücklich. Sie schufen sich eine Gemeinsamkeit die auch im Streit, den es in den ersten Jahren kaum gab, aber auch danach immer gut funktionierte. Die WGs und wechselhaften Beziehungen zuvor, waren offenbar eine gute Schule gewesen, aber es lag auch sicher an der hohen Kompatibilität ihrer Charaktere. Auf dieser Ebene war es und blieb es immer echte Liebe. Fast 30 Jahre lang.

An der Unibibliothek hätte er bleiben können, sich langsam hocharbeiten, aber die eindimensionale Ausrichtung dieser Einrichtung auf eine Zielgruppe, war nicht seine Sache. Er wollte auch hier mehr Kontakte, mehr Vielfalt, einen öffentlichen Ort, der nicht durch die Unbeweglichkeit der Wissenschaft in seinem Weg zur Moderne behindert oder gar erstickt wurde. Darum bewarb er sich im Umland und hatte Glück. Obwohl er schon ein Versprechen hatte, ein Jahr später, auf eine Stelle im Bergischen, während eines Praktikums dort hatte er offenbar nachdrücklichen Eindruck hinterlassen, ging er für das laufende Jahr auf eine Mutterschaftsvertretung und war von jetzt auf gleich Bibliotheksleiter einer Kleinstadt bei Bonn.

Wie schon als Klassensprecher bis hin zum Studentenführer, trug ihn das Bedürfnis zu führen und vor allem seine Meinung kund zu tun, in die Positionen, die andere scheuten. Er nahm diese Rolle gerne an, musste aber früh auch seine Grenzen erkennen. Ganz nach oben wollte er nicht, denn zum einen wäre das mit dem Verlust der Bindung zum Tagesgeschäft verbunden gewesen, zum Anderen war er zu sehr ein Gutmensch, über andere willkürlich zu Herrschen war nicht sein Ding und widersprach auch seiner linken, politischen Erziehung und Gesinnung. Doch er wollte aus der Mitte etwas bewirken und nicht wie sein Bruder es immer ausgedrückt hatte, nur Indianer, sondern ein guter Häuptling sein.

Die Stelle war daher unerwartet anspruchsvoll, sowohl als Chef von zwei älteren Damen, als auch in der Gestaltung des Veranstaltungsprogramms, ohne Mittel. Er lernte hier schon früh, worauf es ankam und was das Berufsleben immer sein würde. Ein Zweifrontenkrieg. Von oben und unten wurde man immer argwöhnisch und hungrig zugleich beobachtet, wie eine Wurst im Sandwich. Mal schmeckt den Mitarbeiterinnen, mal den Chefinnen oder Chefs was nicht.

Auch im Arbeitsleben, wie im Studium, das sei noch nachzutragen hier, war er überwiegend mit Innen umgeben, was er gut, aber auch manchmal als sehr anstrengend empfand. Als Womanizer, diesen Status hatte er immerhin da schon einige Jahre zurückgewonnen, gab er in der Rolle des Vorgesetzten eben nicht immer ein ausreichendes Ziel für weibliche Avancen ab, was einige, die sich nicht in seiner Gunst sahen, wiederum frustrierte. Insgesamt brachten viele Menschen, aber wohl besonders Frauen, ihre Emotionen mit zur Arbeit und das ist oft schön aber manchmal auch ein Klotz, der das rationale Arbeiten in unserer Gesellschaft erschwert. Er fand heraus, dass das ihm hingegen keine Schwierigkeiten bereitet. Sein privates Ich gab er an der Bürotür ab und zog es erst auf dem Heimweg wieder an. Ebenso konnte er auch gut zuhause das Büro vergessen. Vor allem wirkte sich keine noch so schwierige Situation in beide Richtungen auf seine Laune oder seinen Gerechtigkeitssinn aus. Damit fand er sich im Laufe seines Lebens allerdings sehr alleine. Fast keiner konnte wie er, zu allen Problemen ein absolut objektive Position einnehmen, auch wenn er vom Gegenteil überzeugt oder persönlich betroffen war.

Das war und ist vielleicht aber auch ein Kerngefühl, was ihn auch in seiner Lyrik ganz oft immer bewegte. Warum sind die meisten Menschen so Ich bezogen, sehen nur das eigene Leid und ist ihnen in letzter Konsequenz, nur der eigene Erfolg wichtig. In dieser Hinsicht wäre er vielleicht zum Weltpräsident berufen, ganz in der Tradition seiner kaiserlichen Vorfahren, nur fehlte ihm dazu einfach der Ehrgeiz und dafür hatte er zugleich Verantwortungsbewusstsein. Er wollte sich nicht korrumpieren lassen und ihm wurde klar, das passierte allen die an der Macht waren, früher oder später.

Die kleine aber feine Position, wo er seine Sinne für all das schon schärfen durfte ging dann über in eine wo er zunächst sehr motiviert war, sich aber, gerade wegen seines fehlenden Anpassungswillens an das System, fast aufrieb oder wo er im Sumpf des Kampfes Bewahren gegen Aufbruch, fast stecken geblieben wäre. Das Ergebnis war eine etwas überdimensionierte neue Bibliothek, hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen … , also bei einer Bibliothek im bergischen Land, an deren Gestaltung und der Erneuerung der Idee, wie man Literatur besser verkauft, er sich einen nicht ganz kleinen Anteil zusprach. Aber der Kampf darum war hart gewesen und er brauchte nach den drei Jahren eine ganzheitliche Erneuerung. Darum entschloss er sich wieder zu wechseln.

Auch nach der Hochzeit, sie hatte ihn irgendwann aufgefordert sie endlich zu fragen und diese Feier war schön und unvergesslich, war jedoch die Liebe schon etwas erkaltet, das spürte er und so wurde sie mit einem ersten Hund erneuert, wenn schon keine Kinder kommen wollten. Darüber machte er sich nicht allzu viele Gedanken, außer wenn er an jedem Karneval kurzzeitig wieder in die Rolle eines Frauenschwarms verfiel oder viel mehr nur durch sein Erscheinen ohne Anhang, sich ziehen lies. Es gab aber weiter noch viele gemeinsame Momente, die sehr verbindend wirkten und sich darum warm und stabil genug anfühlten. Er hatte nicht vor das aufzugeben, auch wenn er da schon wusste, dass er es könnte, sollte ihm eines Tages doch die große Liebe über den Weg laufen oder auch ihr.

Die erste wirkliche Nagelprobe war dann aber die neue Stelle im Süden, wo er zunächst alleine hin ziehen musste. Nach vielen Jahren der Zweisamkeit und den WGs, eine größere Herausforderung und zugleich Verlockung von Freiheit, als er im Vorfeld geglaubt hatte. Das halbe Jahr und im Besonderen eine kurze verregnete Woche im Schwarzwald, hätte damals beinah schon das Ende bedeutet, trotz zweier Hunde inzwischen. Hier spürte er zum ersten Mal, wie unterschiedlich sie im Kern doch waren oder wie sehr sich seine Frau in eine Richtung entwickelt hatte, die nicht mehr so viel von der taffen, lustigen und offen denkenden Studentin hatte, in die er sich verliebt hatte. Die Leichtigkeit die ihre Beziehung immer ausgemacht hatte, war schon mehr als ein wenig dahin und keine Erneuerungswille zu spüren.

Aber er gab Niemanden so einfach auf, er war ein Kämpfer und Stehaufmännchen und er spürte das auch sie das wollte, auch wenn sie damals leider, auch wenn sicher nur unbewusst, begann sich mehr auf kommerzielle Ablenkungen und gesellschaftlichen Status, als auf die Qualität der Beziehung zu konzentrieren. Reisen, schöne Möbel, die Hunde, ein Haus kaufen, die Hoffnung schwanger zu werden, all diese Wünsche rückten für sie in den Vordergrund, während er damit zufrieden blieb, ein gelungenes Gedicht am Abend geschrieben zu haben. Aber es soll nicht verschwiegen werden, dass auch er begann sich abzulenken, in Fantasien abtauchte und in der Arbeit oder dem Sport Erfolg und Erfüllung suchte und seine Bemühungen die erkaltende Beziehung wieder zu entzünden, gar zu schnell aufgab. Wie es eben in so vielen Ehen passiert. Passen Männer und Frauen überhaupt zusammen? Fragten schon Harry und Sally sich.

Kapitel 8: Kinder

Die Kinder waren für seine Frau die Erlösung, zunächst einmal eines, das sie aber wegen einer zu beinah zu spät erkannten Gestose, fast das Leben oder das Kind gekostet hätte. Beinah Katastrophen begleiteten also weiter seinen Weg. Aber es ging alles nochmal gut, außer das der Erbe des Namens zu früh geholt werden musste, ein Startnachteil der ihm lange anhängen sollte. Nichtsdestotrotz war das Kind fortan der Mittelpunkt ihres Lebens. Mutter zu sein so schön es ist, katapultiert die Frauen, so emanzipiert sie auch vorher waren, zurück zu ihren Ursprüngen und voila, es gefällt den meisten. Er versuchte das auszugleichen und gehörte hier sicher zu den wenigen Männern, die dies selbstverständlich tun und sie zu den Müttern die es auch zulassen konnten. Daher war das Kind auch eine starke Wiederbelebung des Miteinanders. Jetzt hatten sie wieder ein gemeinsames Projekt und verstanden sich als Team, was auch überwiegend gut funktionierte und so auch die Liebe auf eine andere Ebene brachte, aber eben nur mit dem Bindeglied des Kindes.

Als der starke Kindchen-Reiz langsam nachließ und das zweite Kind zunächst ausblieb, wurde ihm klar, dass auch hier ein großer Teil der Freude und Liebe bei ihr, sich aus dem Gefühl, endlich gesellschaftlich dazuzugehören, speiste. Eine ideale Familie hatte mindestens zwei Kinder. Wie vielen Frauen, war dieses Bedürfnis zum Kind überhaupt und so wie alle zu sein, auch bei ihr stärker ausgeprägt als er erwartet hatte. Also wurden alle Mittel und Hebel in Bewegung gesetzt um diesen Traum zu erreichen. Er ließ es mit sich machen und es führte auch zum Erfolg, obwohl er später sicher war, dass es sich wahrscheinlich nur um eine psychische Blockade gehandelt hatte. Wie auch immer, auch das zweite Kind war pure Liebe. Diese erneute Erkenntnis überhaupt, das es eigentlich keine echtere Liebe gibt, als zwischen Eltern und Kindern, war die Beste in dieser Zeit. Trotzdem oder gerade darum, verfestigte sich in ihm mehr und mehr das Gefühl, das in der Beziehung etwas fehlte und wohl zum Teil, schon immer gefehlt hatte.

Sie waren inzwischen eine Großfamilie, zwei Hunde, zwei Kinder und nun brauchte es dafür, vor allem aus ihrer Sicht, ein großes Heim. Diesem nächsten Traum seiner Frau, den sie sich trotz fehlender Mittel unbedingt erfüllen wollte, stand er nicht im Weg, aber er spürte schon, mit Bedauern, dass ihr wohl all das menschliche Glück, dass sie bis dahin doch auch miteinander hatten, nicht genug war. Das sie den Blick dafür verloren hatte hinter all dem „musst have“, des Gesellschaftsbildes in dem man sein Lebenstheater aufführte und er sich wohl fast auch schon darein ergeben hatte.

Die Hunde starben, der Anfang vom Ende. Hunde sind wie Kinder, sie lieben eigentlich noch bedingungsloser. Sein Sohn sah ihn das erste Mal weinen. Diese vorhersehbare Katastrophe, denn beide hatten zudem noch eine Leidenszeit, die eine weitere Offenbarung war, wie nahe Glück und Leid beieinander sein konnten. Der Tod wurde ihm erneut allgegenwärtig und damit zugleich, die Sinnlosigkeit von Besitz. Darauf kam es nicht an im Leben sondern nur auf die echte Liebe zu Menschen oder Wesen, nicht zu Dingen. Mit dem Tod der Hunde ging echte Liebe verloren und nun fragte er sich zurecht, welche war noch geblieben.

Immerhin löste es wieder kurzzeitig auch bei seiner Frau ein Umdenken aus, das Haus war nur ein Ding gewesen erkannte sie endlich und trotzdem, begann die Jagd nach dem Ort, wo man das Glück finden wollte rasch wieder von vorne, denn alle seine Versuche, dass merkte er enttäuscht, die Libido endlich wiederzubeleben, ob über Literatur, Vorschläge andere Wege zu gehen, andere Stellungen und Gespräche darüber, stießen auf taube Ohren. Was sie Jahre später, nachdem er nach langem weiteren Festhalten, in seiner Suche nach Alternativen erfolgreich wurde, nicht mehr wahr haben wollte. Aber er war sich sicher dass auch sie diese Erkenntnis irgendwann finden würde oder er hoffte es zumindest. Damit kam die Trennung, der Verlust, aber es begann zugleich ein neue Freiheit für beide.

Kapitel 9: Freiheit und Verbundenheit

Am Anfang war die Sehnsucht nach Nähe, die es in ihrer Beziehung, in dieser Intensität einfach nicht mehr gab. Das anzusprechen war nicht leicht und seine vielleicht zu vorsichtigen Versuche wurden eben ignoriert oder malten ihm ein Bild von einer Frau, die ihn nicht mehr wollte. Also musste er den Weg des sich Wiederfindens alleine gehen. Nie war es dabei aber zunächst seine Absicht gewesen, die Familie zu verlassen. Er wollte nur nicht mehr seine Bedürfnisse, wie dies schon viel zu lange, geschehen war, hintenanstellen. Er hatte auch nicht vor, das lange zu versuchen, sondern er wollte schauen was es ihn über sich und die Beziehung zu ihr und vielleicht auch für einen Neuanfang brachte. Doch auch wenn er einige Freundinnen gewann, so fand er keine wahre Liebe, nur ähnliche Weltbilder, die sich immer um sich selbst drehten oder den gesellschaftlichen Normen, dem Außenblick nur genügen wollten. Er entdeckte aber auch neue Beziehungsformen, spannende Menschen und viel Offenheit, die ihm, nach dieser Lernphase, schließlich den Mut gab, das Schweigen zu durchbrechen. Das war der entscheidende Impuls, das Leben nun mutig und endlich neu auf die Probe zu stelle. Denn er wusste inzwischen sicher, dass Liebe teilbar war und somit konnte ein neues Kapitel aufgeschlagen werden, wenn der Schmerz mit der Wahrheit überwunden werden konnte, irgendwann.

Diese kurze aber wilde Zeit war wie ein kleines Paralleluniversum, in dem er trotzdem mit beiden Beinen stand und nie wirklich die Kontrolle verlor. Aber er verlor vielleicht manchmal den Blick auf die existierende Realität der anderen und diese ist eben, auch wen oft nur eingebildet, für sie selbst wie, als wäre es real. Er war dabei, wie es jeder gewesen wäre, hin und her gerissen, zwischen dem Mut zu erneuern und der Angst vor dem Verlust. Aber waren das Menschen nicht immer. Sein Bruder rang zur gleichen Zeit, mit einer tödlichen Krankheit, der jahrelange, vielleicht allzu sorgloser Konsum verschiedener Genussmittel hatte sein Körper vermutlich angreifbar gemacht, den er dann auch viel zu früh verlor. Dagegen waren seine Sorgen noch gering und er schöpfte wie immer, aus sich selbst Kraft zur steten Erneuerung, die er hoffte auch auf all jene, die er liebte immer übertragen zu können.

Die Welt ist schön, was haben wir zu verlieren, wenn wir das verstehen und es mit allen teilen.

Aber zurück zur eigentlichen Geschichte, was wollen wir wissen wenn wir ein Leben beschreiben, außer dass wir uns amüsieren möchten? Wir wollen die Wahrheit wissen, aber die ist oft nicht leicht zu verdauen. Wir wollen unsere Wahrheit glauben, aber wir sind uns bewusst, die Welt hat viele andere. Wenn man in seinem Leben immer frei entscheiden könnte, wäre alles gut, aber dass passiert nicht. Wir schlittern in ein Leben voller Ungewissheiten, nur der Tod bleibt nicht ungewiss, einzig der Zeitpunkt.

Immer schon interessierte ihn Geschichte, Psychologie und Philosophie dann im Studium, insbesondere in einer WG mit einem Schifferkind, der sein bester Freund in dieser Zeit wurde, weil er ein so authentischer Mensch war. Wieder ein Bluesgittarist und zudem Bibliothekar, vor allem aber belesen und auch ein Mensch auf der Suche nach der Wahrheit. Leider verloren sie sich aus den Augen. Wie es ihm mit so vielen guten Freunden irgendwann erging. Manchmal fragte er sich, ob es an ihm lag und da mochte was dran sein, aber viel öfter dachte er, alles gegeben und sich nie verstellt zu haben und dass, genau das seine Beziehungen, auch zu Frauen, immer überforderte.

Wie wird ein Mensch geformt? Sicher durch seine Erfahrungen, aber er bringt auch ganz viel mit, aus den Genen seiner Vorfahren. Wie sein Vater sich erlebte und entwickelte, welche Abenteuer und Gefahren er überstehen musste, das erfahren wir im nächsten Kapitel und auch wie seine Mutter zeitgleich durchs Leben ging. Wie sie sich begegneten und so er entstand. Zufall oder Plan, jeder Mensch geht seinen Weg und das ist es immer Wert, beschrieben zu werden.

Es gab auch und gerade viele Frauen die ihn das lehrten, es begann mit seiner Mutter, über die Käuflichen und die Freundinnen. Somit spann sich auch ein unsichtbares Band zu seiner Vorfahrin. Sie gebar ein ungewolltes Kind, dass sie aber sicher liebte und so sind wir Menschen. Er erfuhr, dass auch käufliche Frauen keineswegs Verdammte waren. Mit den allermeisten erlebte er schöne, leidenschaftliche Stunden und erfuhr durch ihre Körperweisheit mehr als er sonst je erfahren hätte, über die natürliche Anziehungskraft zwischen Mann und Frau.

Alle Geliebte danach, gingen mit ihm gemeinsam den Weg, den sie gegenseitig spüren wollten und im miteinander Gehen seine Schönheit erst offenbart bekamen. Er war bald ein Casanova, etwas was schon in früher Kindheit in ihm gesteckt hatte, wie wir wissen, aber ein achtsamer. Die Frauen waren so unterschiedlich wie ähnlich in ihrer Freude ihm zu begegnen, dass es so viele Gefühle, erotische Wünsche und Offenheit bei Frauen gab, hätte sich der schüchterne Junge vom Land zu Beginn nie vorgestellt. Frauen waren zudem auch nur Menschen. Diese Gewissheit auszustrahlen, machte ihn als Liebhaber und Mann dann offenbar noch unwiderstehlicher.

Schließlich aber kam es wie mit allem, was man übertreibt, man entfremdet sich auch ein Stück weit, von sich selbst. Man beginnt wieder eine Rolle zu spielen und man spürt zugleich, dass immer noch etwas fehlt. Zuerst war es Überraschung, dann Neugier, er begegnet tollen Mensch, die aber nicht in absoluter Ganzheit zu ihm passten. Irgendetwas fehlte immer, so wie es auch bei seiner Ehefrau immer irgendwie gefehlt hatte und er begriff erneut, dass echte Leidenschaft nur mit echter Liebe wirklich ist und umgekehrt. Er liebte die Frauen irgendwie schon, einen Teil von ihnen zumindest, aber nie ganz, sie waren auch alle auf ihre Weise verrückt und getrieben und das manifestierte sich dann oft schnell dazu, dass er immer wieder gehen wollte und konnte. Ob nur am Abend oder wenn er es nach höchstens einem Jahr immer wieder beendete. Es blieb ein Bedauern aber kein wirkliches Leiden in seiner Seele, dafür ließ er aber oft gebrochene Herzen zurück. Das wurde ihm mehr und mehr klar. Aber konnte man Leid gegen Leid aufrechne? Nein, denn der Grad zwischen Leid und verletzter Eitelkeit, die es in Wirklichkeit fast immer war, war schmal. Die Liebe war bei ihm und den meisten Frauen ein Wunschtraum gewesen, nicht mehr aber auch nicht weniger. Er hatte ihnen allen viel gegeben und sie hatten eine besondere Zeit miteinander gehabt, die da war er sich sicher, ihm und allen Frauen, wenn sie ehrlich waren, unvergesslich blieb.

Er tauchte in Welten ein, die bizarr und real zugleich waren und fand doch überall nur Suchende, aber auch Verwirrte. Je mehr man sich darein begab, desto mehr konnte man den Boden der Realität verlieren. Darin war er als Schriftsteller ohnehin gut, aber zugleich half ihm das Schreiben, all dies zu verarbeiten. Er schrieb es in Versen auf und verschonte sich selbst dabei aber nie. Behielt seine kritische Distanz, die ihm Stabilität gab und immer wieder Kraft. Auch dafür zu sehen, was er an den Menschen seines Lebens hatte. und welche Fehler und Dummheiten er selbst begangen hatte. Aber die eine Erkenntnis blieb nach allen Eskapaden und Begegnungen, nach all diesen Jahren der Suche. Es gab die wahre Liebe und sie war es Wert gewesen sie zu suchen und festzuhalten auch wenn es offenbar nie für die Ewigkeit gelingen würde.

Von alldem bleibt uns trotzdem immer etwas im Herzen und das ist das Leben und Suchen wert.

Wer das erfahren will, muss immer wieder versuchen aus dem sprichwörtlichen Wald, aus dem wir kommen und in dem man sich gelegentlich verirrt, heraus zu finden, sich und alte Gewissheiten zu überwinden, zu überwalden quasi :O)

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